29.04.2020
Sachsen-Anhalt richtet Meldestelle für Antisemitismus ein Studie: Juden erleben Feindlichkeit als alltagsprägend
Magdeburg (epd). Sachsen-Anhalt will eine zivilgesellschaftliche Meldestelle für antisemitische Vorfälle einrichten.
Das Land werde damit der Empfehlung des Bundesverbandes RIAS folgen und zudem ein Aktionsprogramm gegen Antisemitismus auf den Weg bringen, kündigte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Dienstag in Magdeburg an: "Auch in Sachsen-Anhalt haben wir ein Antisemitismusproblem, und zwar bereits lange vor dem Terroranschlag von Halle. Dagegen werden wir entschieden vorgehen." Die Meldestelle soll dazu beitragen, dass Betroffene die Unterstützungsangebote besser nutzen.
Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hat im Auftrag der Landesregierung eine Studie zum Antisemitismus in Sachsen-Anhalt erstellt. Diese ergab, dass sich Jüdinnen und Juden regelmäßig mit latentem wie offenem Antisemitismus im Alltag konfrontiert sehen. Zudem erlebten sie, dass sie außerhalb ihrer Communities mit ihren Erfahrungen weitgehend allein gelassen würden. Oft würde dann vermieden, dass die eigene jüdische Identität sichtbar sei.
Für die Studie wurden unter anderem 14 Interviews mit jüdischen Akteuren und Vertretern staatlich geförderter Gedenkstätten durchgeführt. Die Befragten gaben an, "subtile und unterschwellige Formen von Antisemitismus mit Bezug zur Schoa oder zu Israel würden ihren Alltag prägen". Die Bereitschaft, antisemitische Vorfälle zu melden, sei niedrig. Nach dem Terroranschlag am 9. Oktober 2019 in Halle erfolgte noch eine Nachbefragung für die Studie. Erst nach dem Anschlag hätte sich der Austausch der jüdischen Gemeinden mit der Polizei sowie der sichtbare Polizeischutz deutlich verbessert, hieß es.
Für den Zeitraum 2014 und 2018 wurden 334 antisemitische Vorfälle ausgewertet, darunter verbale und schriftliche Anfeindungen, Bedrohungen, gezielte Sachbeschädigungen und körperliche Angriffe. Davon seien 270 auch polizeilich registriert worden. In 63 Prozent der Fälle gab es einen Bezug zum Nationalsozialismus. Meist waren Rechtsextreme für die antisemitischen Taten verantwortlich. In den Großstädten werde aber auch der Islamismus als Gefahr betrachtet. Durchschnittlich wurden monatlich etwa fünf Vorfälle bekannt. Die meisten Vorfälle ereigneten sich auf öffentlichen Straßen, viele Vorfälle auch im Wohnumfeld der Betroffenen. Die Mehrheit der antisemitischen Vorfälle wurden in Halle und Magdeburg registriert.
Der Vorsitzende des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Max Privorozki, sagte, Antisemitismus in allen seinen Facetten sei ein Problem nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft. Der Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus, Wolfgang Schneiß, sagte, die Ergebnisse der Studie "tun weh". Notwendig sei "eine breite gesellschaftliche Reaktion gegen Antisemitismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Von den rund 2.000 jüdischen Menschen in Sachsen-Anhalt sind etwa 1.200 in den Gemeinden gebunden, in Halle, Dessau-Roßlau und Magdeburg. Die große Mehrheit der Juden im Land sind Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion oder ihre Nachkommen.
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