28.04.2020
Offenes Ohr | Seelsorge in Corona-Zeiten
Frankfurt a.M./Weimar (epd). Pfarrer Ramón Seliger muss in diesen Zeiten mehrmals täglich sein Handy aufladen. Mehrmals am Tag telefoniert er mit Menschen, die um seine Hilfe als Seelsorger bitten.
Er hört sich Geschichten von Familien an, denen nach Wochen mit Homeoffice und Kinderbetreuung wegen der Corona-Pandemie die Decke auf den Kopf fällt. Geschichten über finanzielle Nöte. Oder er liest Chatnachrichten von Menschen mit psychischen Problemen, die gerade nicht zu ihrem Psychotherapeuten gehen können.
Die Seelsorge ist neben der Verkündigung zentraler Teil des Pfarrberufs. Seliger sagt, sie ist sogar der "Auftrag der Stunde". Die seelsorgerliche Arbeit werde von vielen nicht auf Anhieb wahrgenommen, weil sie nicht so greifbar sei wie ein Gottesdienst. Das Bedürfnis ist bei vielen zur Zeit aber groß, ihren Kummer und ihre Sorgen zu teilen.
Für Pfarrer Lars Schütt zählen nicht nur die Einzelgespräche zu seiner Arbeit als Seelsorger. Er findet, dass auch eine Predigt seelsorgerlich sein kann, wenn sie zum Beispiel tröstet oder ermutigt. Schütt arbeitet als Pfarrer in einer Düsseldorfer Gemeinde in der Innenstadt. Schon vor der Corona-Krise hat er Seelsorgegespräche beim Spaziergang gemeinsam mit seinem Hund Hoffmann im Düsseldorfer Volkspark angeboten. Die kann er auch nach wie vor machen, wenn auch mit ein einhalb Meter Abstand zwischen ihm und seinem Gesprächspartner. Und nur noch vormittags, denn nachmittags werde es zu voll im Volksgarten, erzählt er.
Bei Schütt landen eher selten Senioren, sondern vor allem Leute, die gut zu Fuß sind, erzählt er. Er hat festgestellt, dass sich in letzter Zeit häufiger Menschen bei ihm gemeldet haben, die eigentlich nur jemanden zum Reden brauchen, die merken, dass ihnen das Alleinsein zu viel oder denen es zu Hause zu eng wird. "Diese Menschen suchen Gesellschaft, ihnen ist mehr nach Plaudern, als nach einem ernsten Seelsorgegespräch", sagt Schütt, und das sei auch in Ordnung.
Der Vorteil bei Gesprächen von Angesicht zu Angesicht ist, dass man kleinste Regungen des Gegenübers wahrnehmen kann. Nonverbale und visuelle Kommunikation helfen Seelsorgern wie Schütt und Seliger normalerweise, die Stimmung ihres Gegenübers zu erkennen - auch dann, wenn sich manches nicht in Worte fassen lässt. "In Telefongesprächen habe ich weniger Sinne zu Verfügung", sagt Seliger. Deshalb hat er sich angewöhnt, am Telefon nicht nur auf die Worte zu hören, sondern genauer in die Leitung zu lauschen - auf Nebengeräusche, den Atem oder auch einen kleinen Seufzer.
Seliger ist Pfarrer in Weimar und baut gleichzeitig eine Online-Kirche für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland mit auf. Die seelsorgerliche Arbeit in der Ortskirchengemeinde ist analoger geworden, erzählt Seliger und lacht. Er hat festgestellt, dass das kirchliche Meldewesen sehr veraltet ist. Zwar hat er meist die Anschrift seiner Gemeindemitglieder, doch eine Telefonnummer oder gar E-Mail-Adresse fehlen. In digitalen Telefonbüchern seien viele Rufnummern aus Angst vor Telefonwerbung und Betrügern nicht mehr enthalten. Deswegen arbeite er jetzt mit alten, gedruckten Telefonbüchern, um die Rufnummern älterer Gemeindemitglieder zu erfahren, mit denen er telefonisch in Kontakt bleiben will. Er berichtet, dass er auch häufiger beim Einkaufen angesprochen werde. Er ist davon überzeugt, dass Seelsorge Gelegenheit braucht.
Über die Arbeit in der Online-Kirche wenden sich oft Menschen über das Internet an ihn; auch Menschen ohne konfessionelle Bindung. "Das kann ich oft an der Sprache erkennen, wenn jemand kirchenfern ist - zumal ich im Osten arbeite und hier die Mehrheit nichts mit der Kirche zu tun hat", sagt Seliger. Und häufiger Männer als Frauen, was auch anders sei als in seiner Ortsgemeinde, wo die Frauen viele Angebote gestalten und sie dadurch prägen. Ein Vorteil von Chat und E-Mail sei die Mittelbarkeit, sagt der Pfarrer - und manchmal auch die Anonymität. Das erleichtere es manchem, um Rat zu fragen. Oft wisse er gar nicht, ob sich hinter einer E-Mail-Adresse eine Frau oder ein Mann verberge, das werde manchmal erst während des Kontakts deutlich, manchmal auch nicht. "Digitale Räume bieten Schutzräume", sagt Seliger. Egal, ob nun im Internet oder analog, eines sei ihm klargeworden: "Wir können uns manchmal die Einsamkeit gar nicht vorstellen, die einige Menschen jetzt empfinden."
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