30.07.2024
Wachsen gegen den Trend: Warum kirchliche Schulen so beliebt sind
Magdeburg, Erfurt (epd). Kathrin Alsleben aus der Nähe von Haldensleben in Sachsen-Anhalt hat die richtige Schule für ihre beiden Zwillingstöchter gefunden.
Die beiden gehen seit zwei Jahren auf die Evangelische Sekundarschule - obwohl die Familie mit Kirche und Glaube eigentlich nichts zu tun hat. „Der Hauptgrund war, dass es an den staatlichen Schulen mehr Ausfall durch Lehrermangel gibt“, erzählt die vierfache Mutter.
Dadurch wurde die Familie auf die konfessionelle Schule aufmerksam - und ist sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. „Die Gemeinschaft an der Schule ist hervorragend“, lobt Kathrin Alsleben. Vor Weihnachten gebe es regelmäßig ein Adventssingen, auch die Gottesdienste seien sehr kindgerecht gestaltet. Auch als Mutter nehme sie gerne daran teil. „Das heißt schon was, wenn mich das überzeugt“, sagt Alsleben. So denken in der Region offenbar viele Eltern: Die Schule habe dreimal so viele Anmeldungen, wie Plätze zu vergeben seien.
Damit folgt die Familie einem Trend, der seit Jahren anhält: Trotz einer immer stärker abnehmenden Kirchenbindung verzeichnen die konfessionellen Schulen auch in Sachsen-Anhalt einen zunehmend größeren Zulauf. Für Marco Eberl, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Schulstiftung in Mitteldeutschland St. Johannes in Erfurt, kommen hier zwei Trends gleichzeitig zusammen.
Zum einen erleben Schulen in freier Trägerschaft seit Jahren einen Boom. Laut Statistischem Landesamt hat im Schuljahr 2023/24 jeder zehnte Schüler in Sachsen-Anhalt eine Schule in freier Trägerschaft besucht. Laut Eberl können Freie Schulen individueller auf die Kinder eingehen. Hinzu komme, dass der Unterrichtsausfall geringer sei. Zudem sei die Kommunikation mit den Eltern oft besser.
Das betreffe insbesondere die konfessionellen Schulen. Laut Eberl haben die 13 Grund- und Sekundarschulen der Evangelischen Schulstiftung in Sachsen-Anhalt in fünf Jahren vom Schuljahr 2018/19 bis zum Schuljahr 2023/24 einen Aufwuchs von rund 31 Prozent erlebt. Waren es vor sechs Jahren noch rund 1.500 Schüler, wuchs die Zahl im vergangenen Schuljahr auf mehr als 2.000 an. Bei allen freien Schulen im Land seien es 14 Prozent mehr. Die evangelischen Schulen sind also doppelt so stark gewachsen wie alle Privatschulen.
„Es gibt ein auffälliges Wachstum des konfessionellen Schulwesens gegen den Trend“, betont Eberl. In Sachsen-Anhalt gehören noch knapp über zehn Prozent der Menschen der evangelischen Kirche an, der Anteil der Katholiken liegt bei gut drei Prozent.
„Wir sind Kirche in anderer Gestalt“, erklärt Eberl diese Entwicklung. Die Menschen erlebten Schulkirche anders als das sonst bekannte kirchliche Angebot. Der Zugang sei viel niedrigschwelliger als beispielsweise in Gemeinden. „Möglicherweise entsteht in den Schulen ein Kirchenbild, das in der Öffentlichkeit das Ansehen von Kirche stark verändert.“ Die Mehrheit der Schüler sei nicht konfessionell gebunden, daher sei man Kirche mit und für andere.
Sein Kollege Steffen Lipowski, Pädagogischer Vorstand der Edith-Stein-Schulstiftung des katholischen Bistums Magdeburg, bestätigt diese Entwicklung: „Die Attraktivität freier Schulen ist ungebrochen.“ Am Magdeburger Norbertusgymnasium habe es für das laufende Schuljahr 300 Anmeldungen auf 120 Plätze gegeben. Der Zulauf habe sich verstetigt, sei sogar noch leicht gestiegen. Rund 3.300 Schüler besuchten derzeit eine der acht katholischen Schulen der Stiftung.
Viele Eltern sagten, sie erwarteten von konfessionellen Schulen, dass Jugendliche mit christlichen Themen in Verbindung gebracht würden. „Wir sagen immer wieder, wir schaffen Räume, um Glaube oder Kirche zu begegnen“, betont der Schulstiftungs-Vorstand. Dadurch sollen Kinder später entscheiden können, was in ihrem Leben Platz finden könne: „Das bieten wir an, das ist unser Verständnis von Schule.“
Sein evangelischer Kollege Marco Eberl fasst die Beliebtheit konfessioneller Schulen wie folgt zusammen: „Wir haben eine Art geheimen Lehrplan: Das Hauptfach heißt Mensch.“
Von Oliver Gierens (epd)
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