22.12.2024
"Wir werden dem Gewalttäter nicht unseren Hass geben": Ansprache von Landesbischof Kramer im Gedenkgottesdienst für die Opfer des Anschlags von Magdeburg
Im Gedenkgottesdienst für die Opfer des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt hat Landesbischof Friedrich Kramer im Magdeburger Dom dazu aufgerufen, dass der Hass nicht die Oberhand gewinnt.
"Der wichtigste Raum des Friedens, den du bewahren kannst, ist dein Herz. Öffne es nicht für Hassrede und Gewalt, sondern halte es weich, halte es empfindsam, halte es offen als einen Ort des Friedens."
Im Folgenden finden Sie die Ansprache des Landesbischofs vom 21. Dezember 2024 im Wortlaut:
Liebe Gemeinde voller Schmerz.
Wir sind außer uns. Was ist hier geschehen? Ihr Menschen guten Willens, die ihr hier im Dom zusammengekommen seid und draußen auf dem Domplatz, die Ihr das anseht heute. Ihr seid hier, weil Ihr Mitgefühl habt. Mitgefühl für die Ermordeten und Verletzten. Ihr seid hier, Ihr zeigt Eure Unterstützung für die, die unter diesem Anschlag zu leiden haben. Sei es, weil sie Angehörige verloren haben, sei es, weil sie schwer verletzt worden sind. Sei es, weil sie die Bilder nicht mehr loswerden von gestern Abend, weil sie Helferinnen und Helfer waren von der Polizei über das Kriseneinsatzteam bis zur Notfallseelsorge.
Fünf Menschen sind tot, und weitere schweben in Lebensgefahr. Ganz normale Menschen, die auf dem Weihnachtsmarkt in Fröhlichkeit und guter Stimmung einen friedlichen Abend feiern wollten. Und dann kommt der tödliche Wagen, brutal und herzlos. Wir sind erschüttert und fragen uns, wo gibt es noch einen sicheren Ort. Wo ist ein Friedensort, ein sicherer Ort, den niemand zerstört? Wie sollen wir es unseren Kindern erklären, was hier geschehen ist: ein Kind überfahren auf dem Weihnachtsmarkt. Wie können wir davon reden, ohne Ängste zu schüren oder in Wut und Hass zu verfallen?
Mitten im Advent diese Bluttat.
Im Advent bereiten wir uns auf Weihnachten vor, auf ein Kind, sanft und wehrlos. Die ganze Welt feiert die Geburt, weil sich alles durch dieses Kind verändert hat. Und seine Mutter, Maria, ist eine Frau, die sehr viel Leid erfahren musste. Sie musste den Tod ihres Kindes mit ansehen. Sie musste ertragen, dass er verfolgt und seine Freunde verfolgt wurden. Aber sie stimmt mitten in einer gewalttätigen Umgebung ein Lied an. In einem Vers heißt es:
"Er stößt die Gewaltigen, die Gewalttätigen vom Thron
Und hebt die Niedrigen auf."
In welche Reihe stellst Du den Anschlag von Magdeburg? Von Erfurt mit dem Massaker in der Schule über den Anschlag in Halle jetzt nach Magdeburg? Oder stellst Du ihn innerlich in die Reihe von Paris über den Berliner Weihnachtsmarkt nach Magdeburg? Wir wissen nicht genug, aber der Anschlag scheint keine klare Zuordnung zuzulassen. Und doch, Gewalttäter setzen sich auf den Thron, auf den Thron der Aufmerksamkeit. Alles soll sich nach ihnen richten. Und was dem nicht entspricht, soll sterben. Aber Maria singt, dass Gott den Gewalttäter vom Thron stößt. Lasst es uns wie Gott machen. Lasst uns dem Gewalttäter keinen Raum geben. Denn die Gewalttäter dieser Welt sind Zerstörer der Friedensräume. So lasst uns diesem Gewalttäter keinen Raum geben heute, sondern hier, an diesem Friedensort im Dom, wollen wir der Opfer gedenken und über uns nachdenken. Reden wir nicht über den Gewalttäter, sondern darüber, wie wir bei den Opfern bleiben können und bei allen, die niedergeschlagen sind von diesem unfassbaren Ereignis.
Der Friedensraum Weihnachtsmarkt wurde zerstört und zerfahren. Es ist, als wenn die Dunkelheit hereinbricht. Und das ist in Magdeburg sinnbildlich zu spüren. Die Lichter unseres wundervollen Weihnachtsmarktes sind aus. Dunkelheit. Ein Mensch tötet so viele.
Und wir spüren Ohnmacht, wir spüren Verzweiflung, wir spüren Wut. Wir haben Mitgefühl mit denen, die betroffen sind. Und in diesem Mitgefühl lasst uns verbunden sein. Lasst uns in diesem Mitgefühl zueinanderstehen, so wie wir heute uns hier versammelt haben. Menschen aus völlig unterschiedlichen Glaubens- und Denkrichtungen, aber wir stehen zusammen. Und wir stehen zusammen im Mitgefühl, in der Solidarität. Ja, wir werden dem Gewalttäter nicht unseren Hass geben, sondern wir bleiben bei dem, was dem Frieden und dem Zusammenhalt dient.
Was ist mit den geschützten Räumen, wo ich frei bin von Gewalt? Eine Frage, die uns umtreibt. Der wichtigste Raum des Friedens, den du bewahren kannst, ist dein Herz. Öffne es nicht für Hassrede und Gewalt, sondern halte es weich, halte es empfindsam, halte es offen als einen Ort des Friedens. Und wenn dein Herz ein Friedensraum ist, können sich die Friedensräume wieder öffnen, können wir miteinander friedlich umgehen und können wir in solchen Räumen wie diesem Dom, einander den Frieden wünschen.
Hier, heute, stehen wir zueinander und beten für die, die in Unfrieden gefallen sind.
Gott stärke uns darin. Er gebe uns allen den Mut, unser Herz freizuhalten von Hass und den Frieden in unseren Herzen aufzurichten und miteinander im Frieden zu leben.
So sei es! AMEN