12.02.2021
Zahl antisemitischer Straftaten erneut gestiegen | Soziologe fordert entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsterrorismus
Berlin (epd). Die Zahl antisemitischer Straftaten ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen.
Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hervorgeht, wurden bis Ende Januar 2.275 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gemeldet, darunter 55 Gewalttaten. Die Zahl ist vorläufig, da noch Nachmeldungen der Bundesländer möglich seien, heißt es darin weiter.
Es ist allerdings schon jetzt ein erneuter deutlicher Anstieg. 2019 wurden 2.032 antisemitisch motivierte Straftaten registriert, 2018 insgesamt 1.799. Die Straftaten werden überwiegend dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. 1.367 Tatverdächtige wurden 2020 ermittelt, wie aus der Anfrage hervorgeht, über die zuerst der "Tagesspiegel" am Donnerstag berichtete und die auch dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Es habe fünf Festnahmen, allerdings keine Haftbefehle gegeben.
"Angesichts der zahlreichen antisemitischen Vorfälle auf den Corona-Leugner-Demos im vergangenen Jahr und der Verschwörungsmythen im Netz war leider damit zu rechnen, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten erneut steigt", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dem "Tagesspiegel". Die vorläufige Statistik zeige, "dass die Radikalisierung der Gesellschaft voranschreitet und der Respekt vor Minderheiten sinkt", warnte er. Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, sagte dem Blatt, der erneute Anstieg "muss uns eine Warnung sein".
Soziologe fordert entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsterrorismus
Berlin/Jena (epd). Der Jenaer Rechtsextremismusforscher Matthias Quent hat entschiedenere Maßnahmen gegen Rechtsterrorismus in Deutschland gefordert. Seit 1990 habe es nach Angaben des Bundesinnenministeriums 109 Opfer rechtsterroristischer Taten gegeben, nach Angaben von Initiativen gegen Rechtsextremismus rund 200 Opfer, sagte er am Donnerstag anlässlich eines vom Mediendienst Integration in Berlin organisierten Gesprächs zum Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau am 19. Februar 2020. Darauf habe es bisher keine angemessene Reaktion der Gesellschaft gegeben. Viele der Anschläge seien nicht aufgeklärt worden.
Der Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) kritisierte, dass es in Deutschland anders als in Großbritannien oder den USA noch kein Strafgesetz gegen Hasskriminalität gebe. Viele rassistische Taten, die aus der Mehrheitsgesellschaft heraus begangen würden, würden nicht als extremistische Kriminalität begriffen. Auch sei die Polizei dafür noch unzureichend ausgebildet. Die Bewaffnung von Rechtsextremisten, soweit den Behörden bekannt, habe zwischen 2019 und 2020 um 35 Prozent zugenommen, fügte Quent hinzu: "Es mangelt am politischen Willen, diese Personen zu entwaffnen."
Den Anschlägen von Hanau, Halle und dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke 2019 sei gemeinsam: "Das primäre Mordmotiv war Rassismus", erklärte Quent. Die Täter hätten zwar die Morde alleine begangen, "aber niemand radikalisiert sich im luftleeren Raum", sagte der Soziologe: "Rechtsextremistischer Terror ist nicht auf Strukturen angewiesen, hat aber immer einen Kontext."
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