05.08.2024
Rede von Regionalbischöfin Friederike Spengler am 2. August 2024 in Altenburg (Gegen-Veranstaltung zum "Sommerfest" der AfD)

„Aus dem Wieratal ins Reich!“  nannte der Nationalsozialist Kurt Thieme 1939 sein gleichnamiges Buch über die Entstehung einer NS-staatskonformen kirchlichen Bewegung im Altenburger Land.

Alles begann bereits 1927. Da kamen die beiden gerade 27jährigen Pfarrer Siegfried Leffler und Julius Leutheuser - aus Bayern – in die Kirchgemeinden Niederwiera und Flemmingen. Ihnen gelang es innerhalb weniger Jahre, die Lehrer und Handwerker, die Jugend und die Bauern in ihren Dörfern für den Nationalsozialismus und für die Bewegung der „Deutschen Christen“ zu begeistern. Die „Deutschen Christen“ traten damals mit dem Ziel an, die evangelische Kirche nach dem Prinzip des Führerstaates neu zu ordnen und sie nach staatlichem Vorbild gleichzuschalten. Mit dem Wahlsieg dieser nationalistischen, sich klar antisemitisch und rassistisch äußernden Bewegung, arbeiteten NS-Staat und große Teile der evangelischen Kirche zusammen. Und ja, die „Deutschen Christen“ wurden tatsächlich im Altenburger Land - nicht in München oder Berlin - gegründet!). Schon vor Hitlers Machtergreifung wählte fast die gesamte Bevölkerung im „Wieratal“ die NSDAP.

Joachim Krause hat mit viel Engagement und unendlicher Geduld diese Geschichte anhand von Quellenmaterial, z.B. Gemeindeblättern, zugänglich gemacht. Hier kann man lesen, mit welch geradezu vorauseilendem Gehorsam sich das Altenburger Land den Nazis andiente:

1933
„Hochbedeutsam für unser ganzes Volk und Reich war der 30. Jan., an dem Adolf Hitler das Reichskanzleramt … übernahm… und viele waren am anderen Abend mit in der Stadt Altenburg bei dem Fackelzug der SA-Leute und der Stahlhelmer. In wie vielen leuchtete endlich wieder in dieser Notzeit eine neue Hoffnung auf!"

Oder:

„Am Tage vorm 1. Mai hatte unser Gotteshaus viel Besuch. Der Kirchenvorstand ging geschlossen zur Kirche; zugleich mit ihm eine Abteilung Scharnhorstjugend aus Altenburg mit ihren Führern... Auch die Mitglieder der NSDAP., ... kamen in ihrer braunen Uniform. Predigt und Lieder waren auf den 'Feiertag der nationalen Arbeit' eingestellt.

Die Ortsgruppe der NSDAP. hatte den Plan gefasst, anlässlich des Geburtstages des Volkskanzlers eine Hitlereiche zu pflanzen und sich für diesen Zweck einen Platz auf dem Kirchhof … ausgewählt. Die ganze Gemeinde war zu dieser Feierlichkeit anwesend. Gegen 7 Uhr abends trafen unter der Führung der SA. sämtliche vaterländischen Vereine und Organisationen … im gemeinsamen Zuge auf dem Kirchplatz ein. Der Propagandaleiter der NSDAP…eröffnete die Weihestunde und gab bekannt, dass an der Pflanzstelle eine Urne versenkt worden sei, die neben der Urkunde über die Pflanzung der Eiche auch die Mitgliederlisten der NSDAP.- enthielt."

1934

„Machtvoll klangen unsere herrlichen Loblieder Gott zur Ehre empor, der uns in der größten Not den Retter in unserm Führer Adolf Hitler geschenkt hat,…“

In Kosma entstand unter Führung der Pfarrfrau die NS.- Frauenschaft. Ihr gehören fast 90% aller Frauen des Kirchspiels an.

Oder:

„Nachdem wir uns einmal entschlossen haben, in die Bewegung der Deutschen Christen einzutreten, verfolgt diese Tagung den Zweck, uns fester zusammenzuschließen. Wir wollen die entschlossensten Kämpfer des Nationalsozialismus sein. Der neue Staat ist zwar äußerlich geschaffen, aber seine Idee muss erneut vertieft und rein aus religiöser Haltung heraus gehütet werden. Die ganze Geschichte ist ein Ringen zwischen Wahrheit und Falschheit, Gut und Böse, zwischen Christus und Satan. Heute ist dieser Kampf aufs Neue entbrannt, und Hitler ist der Träger des Gottesgeistes, der einer ganzen Welt von Hass, Betrug, Verrat, Geldsucht entgegentritt rein aus dem Glauben heraus. Diesem glaubenden, heilig kämpfenden Deutschland, das sich in Adolf Hitler zusammenballt, gilt es einen Dom zu bauen, (…)  über dem geschrieben steht: Ein Volk, ein Gott, ein Führer, ein Glaube. (…)  Mit Schwächlingen hat Gott noch nie sein Reich aufgebaut… Gott hat uns gerufen, zu glauben. Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben. So, deutsches Volk, glaube dich frei …"

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Liebe Menschen guten Willens, Geschwister, gleich an Würde,

ganz unerheblich, welche Überzeugungen Euch hierhergeführt haben: Wir sind doch einig darin, dass es eine Situation wie die vor 90 Jahren hier Beschriebene, nie wieder geben darf. Nicht einmal ansatzweise. Wir stehen für die Zusammenarbeit mit der AfD, der Partei „Neue Heimat“ oder der des sogen. „III. Weges“ nicht zur Verfügung.

Mindestens genauso wichtig aber wie unser aller klares NEIN zu Rechter Gesinnung, sind Inhalte zu beschreiben, auszugestalten und zu leben, FÜR die wir stehen: Die Überzeugung, dass die Demokratie diejenige Ordnung ist, in der die Menschenrechte - Glaubens- und Gewissensfreiheit -  und das Eintreten für eine gerechte, soziale Gesellschaft, am besten umgesetzt werden kann. Das Einstehen für Toleranz, weil die eigene Freiheit dort endet, wo die eines anderen beginnt. Das Sich-Einbringen für Weltoffenheit, weil es Vielfalt ermöglicht und Fanatismus und Nationalismus ins Leere laufen lässt.

Als Christin bin ich überzeugt, dass uns Jesu Gebot der Nächsten-, ja sogar der Feindesliebe immer wieder auf die hinweist, die unserer Unterstützung bedürfen, die unsere Stimme brauchen, weil sie nicht einfach selbst ihre Stimme erheben können: Leute, die wegen ihres besonderen Unterstützungsbedarfes nicht in die Lage versetzt sind, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen; Menschen, die wegen ihres Migrationshintergrundes ausgegrenzt werden; Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung gemieden werden und viele andere … Für sie, für uns alle sagen wir heute neu: Um Gottes und der Menschen Willen: Altenburg bleibt stabil gegen rechte Gesinnung und steht auf für eine Gesellschaft des Miteinanders, für Herz statt Hetze.

Vielen Dank für Euer Engagement!


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