08.11.2020
Festgottesdienst zu 100 Jahren evangelische Kirche in Thüringen am 8. November 2020 in Eisenach

Predigt von Landesbischof Friedrich Kramer am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr in der Eisenacher Georgenkirche

 

Predigttext: Johannes 4, 19-26

19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.

20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.

21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.

22 Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir aber wissen, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.

23 Aber es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.

24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.

26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt, Christus Jesus. Amen.

 

Liebe Festgemeinde!

Herzlichen Glückwunsch! 100 Jahre Thüringer Landeskirche. 100 Jahre? Sind es wirklich 100 Jahre gewesen? Es waren 89 reine Thüringer Jahre vor der Fusion zur Mitteldeutschen Kirche, so haben wir es gerade von Altbischof Kähler gehört, und wenn wir dann noch die zwölf Jahre im Nationalsozialismus abziehen, weil es da keine funktionierende Kirche gab, werden es noch weniger. Und dennoch: vor 100 Jahren, noch vor der Bildung des Freistaats Thüringen, entstand eine neue Kirche, eine sehr bunte Kirche. So bunt wie die Weimarer Republik: mit Religiösen Sozialisten, mit Nationalisten, mit Liberalen und frommen Lutheranern. Ja mit welchen, die auf keinen Fall mit den anderen zusammen wollten und der neuen Kirche nicht beitraten, weil sie, erst einmal abwarteten, ob ihr Fürst vom Hause Reuß älterer Linie nicht wiederkommt. Eine ziemlich bunte Gruppe startete dort. Und dieser Start ging erstaunlich schnell. Die roten Plakate, die Bedrohungen, denen sich Christinnen und Christen ausgesetzt sahen, waren deutlich, und man wollte eine freie Volkskirche gründen. Herzlichen Glückwunsch! 100 Jahre!

            Unser Predigttext, den wir ganz bewusst ausgesucht haben für diesen Gottesdienst, steht im Johannesevangelium im 4. Kapitel und erzählt die Begegnung von Jesus mit der Samaritanerin. Dort wird gesagt, dass das Heil von den Juden kommt. Das ist mir wichtig, es gerade hier in dieser Kirche zu sagen, wie es auch meiner Vorgängerin und vielen meiner Vorgängern wichtig war, hier in dieser Kirche zu betonen: das Heil kommt von den Juden. Das sagt der Predigttext, und sagte er schon immer. Aber es wurde verdunkelt in den zwölf Jahren, in der Zeit des Nationalsozialismus. Gerade hier steht Eisenach für eine düstere Geschichte, wenn wir an das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, das – getragen von elf deutschen Landeskirchen – hier von 1939 bis 1945 bestand.

            Lassen sich die 100 Jahre, wie gerade auf der Tagung der Akademie in Neudietendorf etwas grob, aber pointiert zusammenfassen: Erst braun, dann rot? Darf man dann noch feiern? Und ist das überhaupt zutreffend? Lasst uns in den Text schauen, der uns heute zur Predigt gegeben ist.

            Da ist zuerst Jesus, der ganz gegen die Sitten seiner Zeit und seiner Religion mit einer Samariterin am Brunnen ein Gespräch anfängt. Im Orient der damaligen Zeit eine höchst ambivalente Szene: Ein Mann allein mit einer Frau am Brunnen, da wird sofort getuschelt. Da wird gleich gefragt: was ist hier eigentlich los? Und die Vorgeschichte zu unserem Text geht auch darum: Jesus weiß, dass diese Frau schon fünf Männer hatte und der, mit dem sie jetzt zusammenlebt, gar nicht ihr Mann ist. Und er sagt das ganz nüchtern und klar, und daran erkennt sie: Du bist ein Prophet. Und er sagt damit auch klar: Ich werde nicht dein nächster Mann sein. Aber auf einer ganz anderen Ebene biete ich dir etwas an, was deinen Durst dauerhaft stillen kann. Ich biete dir etwas an, was über deinen Lebensdurst hinausgeht. Und sie wird angerührt und erkennt, dass er Christus ist. Gleichzeitig gibt sich Jesus zu erkennen. Eine ambivalente Szene also.

Vielleicht ist diese Szene auch so ambivalent, wie es die Fusion zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland vor elf Jahren war. Wie wird diese Fusion heute in Thüringen gesehen? Ist die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen untergegangen? Oder hat sie das Glück gehabt, als 89-Jährige noch zu heiraten? Wie sehen Sie das? Wo ist die Lutherische Kirche Thüringens heute? Ich würde Sie gerne dafür gewinnen, im Hochzeitsbild zu denken, weil ich glaube, dass die Fusion der beiden Kirchen einen Geburtsfehler von 1920 heilt. Denn damals hätte man eigentlich, wenn man eine Kirche in Thüringen gründen will, auch die Preußen in Erfurt fragen müssen, ob sie nicht Lust haben mitzumachen. Hat man aber nicht, weil man wusste, reußisch und preußisch, das geht nicht zusammen. Also hat man eine Kirche gegründet, die immer den Makel hatte, dass die Landeshauptstadt nicht zu ihrer Kirche gehörte. Das ist durch die Hochzeit vor 11 Jahren anders geworden. Es gelang diesen Makel aufzuheben. Und nun haben wir eine Kirche in Mitteldeutschland, wo Reußen und Preußen zusammen den Herrn anbeten. Dass es so etwas gibt, hätte vor 100 Jahren wahrscheinlich keiner gedacht.

            Jesus sagt zu der Frau: „Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Herren anbeten werdet.“ Sie kennen sich aus, ich muss Ihnen nichts über Samaritaner erzählen und den Garizim und den heiligen Ort dort und wie er zerstört wurde. Und dass bis heute Samaritaner auf diesem Berg anbeten. Ja, dass es der Berg des Mose ist, an dem die Gebote verlesen wurden. Und dass Jerusalem später dazu kam und die Hauptstadt und das Zentrum, das neue Zion wurde. Diese Debatte war, als Jesus mit der Frau spricht, schon 700 Jahre alt.

            Und wenn wir heute 100 Jahre evangelische Kirche in Thüringen feiern, dann feiern wir letztlich 1300 Jahre christlichen Glauben hier in Thüringen, denn der beginnt ja schon viel, viel früher. Bonifatius steht als Name dafür, aber wir wissen, schon 100 oder gar 200 Jahre vorher waren keltische Missionare unterwegs. Zu Anfang ging es relativ anarchisch zu. Später aber wurde das dann alles ordentlich geordnet in Bistümern in Erfurt und woanders. Bonifatius hat das gut auf Rom hin geordnet. Das hat dann ein paar hundert Jahre gehalten. Dann kam die Reformation, und es wurde wieder anders. 1300 Jahre Geschichte hier mit dem Glauben und große Namen, große Schätze, vieles, was sich als Thüringer Erbe zu feiern lohnt.

            Jesus prophezeit der Frau, dass die Zeit kommen werde, in der bestimmt Orte zur Anbetung keine Rolle mehr spielen werden: nicht Jerusalem und nicht Galizien, nicht auf diesem Berg und nicht in der Stadt. Nicht Eisenach und nicht Magdeburg, nicht Erfurt, sondern es wird die Zeit kommen, dass die Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Denn der Vater will solche Anbeter und Anbeterinnen haben. Die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

            Wir wissen, im Johannesevangelium geht es, wenn es um die Zukunft geht, immer um das Jetzt. Es geht nicht darum, dass es Zeiten gab, in denen ohne Geist und ohne Wahrheit Gott angebetet wurde, sondern die Frage ist immer: Betest du jetzt im Geist und in der Wahrheit den Vater an? Und das gilt für dich persönlich, genauso wie für die Gemeinden, in denen wir unseren Glauben gemeinsam leben. Das gilt für unsere Kirchen und die Kirchenleitungen. Sind wir im Geist und in der Wahrheit? Und oft haben wir den Eindruck, dass wir jetzt sagen können: ja, wir sind es. Aber wenn später drauf geschaut wird, kommt man vielleicht zu der Einsicht, dass da nicht nur Wahrheit war, sondern auch viel Geistloses. Aber Gott sei Dank können wir mit 100 Jahren Thüringer Geschichte im Rücken sicher sagen, dass es immer Christinnen und Christen, Anbeterinnen und Anbeter gab, die im Geist und in der Wahrheit Christus und den Vater angebetet haben. Und die Jesus als den Christus bekannt haben und wussten, dass das Heil von den Juden kommt.

Diese Christinnen und Christen gab es immer, seit über 1000 Jahren, hier in Thüringen und es wird sie weiterhin geben. Und deshalb können wir unsere Geschichte nicht nur in einer Perspektive anschauen. Wir müssen die Vielfältigkeit der Gaben, Schätze und Geschichten entdecken, ohne die dunklen Seiten und das Versagen in Geistlosigkeit und Lüge außerachtzulassen. Sich diesen dunklen Seiten zu stellen, das ist in großartiger Weise in den letzten Jahren in Eisenach und anderen Orten geschehen, wenn ich an die Ausstellungen im Lutherhaus oder das neuerrichtete Denkmal zum „Entjudungsinstitut“ denke.

            Am Ende geht es um das Anbeten. Es geht darum, dass wir aus Klage, aus Schuld, aus Verstrickung, aus Kleinmut, aus Angst, aus Furcht, aus Gier, aus Geiz, aus all dem, was uns klein macht, durch Gottes Gnade heraustreten können. Dass wir uns in seinem Geist der Wahrheit und der Liebe bewegen. Und dass wir ihn in Geist und Wahrheit anbeten als den, der er ist: Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Gesalbte, der Geliebte, der unser Bruder ist und mit dem wir miteinander Christus sein sollen hier in der Welt.

            Und so kommen Geist und Sohn und Vater zusammen, auch hier in diesem Text finden wir die Dreieinigkeit, die anzubeten ist. Und dort, wo wir anbeten, erinnern wir uns der Quelle und des Wassers, dass uns in der Taufe gegeben ist. Jesus verspricht dieses Wasser der Frau aus Samarien und damit uns. Wasser, das den Durst wirklich zu löschen vermag. Wenn wir uns dieses Wassers erinnern, dass uns in der Taufe mit ihm verbindet und zu Gliedern an seinem Leib macht, dann können wir selbst zu Quellen werden. Zu Brunnen, aus denen das Wasser fließt und die trockenen Lande zu fruchtbaren Gärten macht. Und trockene Lande, geistliche Verwüstung, sehen wir an vielen Stellen, hier in Thüringen, in der alten Kirchenprovinz Sachsen und in ganz Mitteldeutschland. Die zwei Diktaturen haben viele Narben und Verwüstungen hinterlassen. Und deswegen müssen wir uns erinnern an diese Kraft, die aus der Taufe kommt, die wir in der Anbetung finden und die uns zu Quellgründen werden lässt für das Wasser, dass das Land befruchtet.

            100 Jahre Thüringen! Herzlichen Glückwunsch! Wir haben in diesen 100 Jahren Dunkelheit und Licht, Geistlosigkeit und Geist, Lüge und Wahrheit erlebt. Das, was nicht von Gott war, wird vergehen und verwehen. Das, was mit Gott verbunden war, wird bleiben und Frucht bringen.

            Wir sind an vielen Stellen unter Druck. Gerade hier im Thüringischen Teil unserer Kirche erleben wir, dass die Zeit der Volkskirche, in der das ganze Volk zur Kirche gehörte, nicht mehr unsere Zukunft sein wird. An einigen Orten ist es noch so. Für mich ist es immer wie eine Zeitreise, wenn ich aus dem Mansfelder Land in einen der volkskirchlichen Orte hier im Süden Thüringens komme. Dann denke ich immer: Wow, das kann schön sein! Aber an vielen Stellen, und das wissen Sie und ich, wird sich demographisch und aus anderen Gründen die Lage verändern. Wir spüren, dass uns unruhig macht. Wir sind auf dem Weg in die Diaspora, auch hier in den volkskirchlichen Flecken Thüringens. Und wir sind auf dem Weg, die Parochie neu als das zu verstehen, was sie ist. Parochial heißt nämlich ursprünglich: in der Fremde leben.

            Und so brauchten wir zum einen die Heimat, die wir haben durch die vielen herrlichen Thüringer Kirchen. Wir haben nicht nur Jerusalem und Garizim, sondern 3962 Orten in unserer Mitteldeutschen Kirche mit kleinen und großen Tempeln. So wie die Eisenacher Georgenkirche mit ihrer großartigen Geschichte, mit einem Taufstein, in dem Johann Sebastian Bach getauft ist. Ein Ort, an dem hunderte von Pfarrerinnen und Pfarrern zu ihrem Dienst „ja“ gesagt und sich aufgemacht haben, das Evangelium zu verkünden. Großartige Orte haben wir!

            Es wird darauf ankommen, diese zu bewahren in dem Wissen, dass, nur wenn wir im Geist und in der Wahrheit anbeten, Gott uns stärken und unsere Quellen sprießen lassen wird. Lasst uns in beidem bleiben hier in Thüringen in der mitteldeutschen Kirche und gleichzeitig wissen, dass die Hochzeit der beiden Kirchen auf die große Hochzeit zugeht, die am Ende der Tage sein wird. Und wenn der Herr wiederkommt, dann wird es vorbei sein mit den Landeskirchen und mit den Kirchenleitungen. Dann werden alle Geschichten eingehen und nicht vergehen, sondern aufgehoben werden mit dem was in ihnen Geist und Wahrheit war. Und alles wird Gott sein in der großen Hochzeit, auf die wir zugehen.

            Lasst uns in Geist und Wahrheit weiter getrost arbeiten, fröhlich predigen und die nächsten 100 Jahre unter seinen Segen stellen, hier in Thüringen. Amen!

            Und der Friede Gottes, der höher ist in alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


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