26.12.2020
Gottesdienst am 2. Weihnachtstag, 26.12.2020 zu Mt 1 (Ev) und Bild „Die Heilige Familie mit dem Vorhang“ von Rembrandt (1646), Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler

Dr. Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Propstei Gera-Weimar

Liebe Gemeinde,
als am Tag vor dem Heiligen Abend sich morgens die Nachrichten überschlugen „Ärzte fordern Verbot aller Präsenzgottesdienste“ und die Kommentare sich aufschwangen, den Kirchen „Fahrlässigkeit“ und „unverantwortliches Vorgehen“ vorzuwerfen, war mir das Bild von Rembrandt von Rijn (1) so nah wie nie zuvor: Der Vorhang ist zu. Geschlossene Gesellschaft. Von dem, was dieses Fest in seinem Kern ausmacht, nichts zu sehen. Dieses Jahr war und ist ein Jahr, das einen dunklen Vorhang vor unseren gewohnten und liebgewordenen Alltag gehängt hat. Der dichte Stoff lässt nichts hindurch, schwer fällt er in dicke Falten, mit Ringen an der oben angebrachten Stange.
(1: Rembrandt (1606-1669): Die Heilige Familie mit dem Vorhang (1646). Gemäldegalerie Ate Meister Kassel. Karte hg. vom Gottesdienstinstitut Nürnberg)

So, wie der Vorhang fällt, nach einem Theaterstück. Aber niemand klatscht. Und keiner der Schauspieler tritt noch einmal vor den Orchestergraben und verbeugt sich. So haben viele dieses 2020 erlebt: Abgeschnitten vom Übrigen. Still und wie in Watte gepackt. Im Sommer dann ein kurzes Zwischenspiel des Lebens: Geschenkte Zeit für Umarmungen und Nähe, Besuche und vielleicht sogar für einen Ortswechsel. Ein unwirkliches Jahr. Und nun Weihnachten unter erschwerten Bedingungen, die Botschaft von der Geburt des Retters hineingesagt in Unsicherheit und Angst vor Ansteckung, in die Zahlen von Infektionen und Toten. Wird sich die Botschaft durchsetzen können? Die Nachricht vom Licht der Welt, geboren in einem Kind…

Liebe Gemeinde, es lohnt sich genauer hinzusehen, gerade dann, wenn alles so eindeutig scheint, wie jetzt: so verschlossen und dunkel, abgeschottet, dichtgemacht, isoliert, getrennt. Der Vorhang lässt in der Mitte, genau da, wo die beiden Stoffhälften aufeinanderzukommen, einen Spaltbreit Licht sehen. Ein ärmliches Licht, zugegeben, geradezu verschwindend klein. Eine winzige Schale vor einer Handvoll Holzscheite. Viel ist es nicht.

Viel war es damals auch nicht. Ein Traum nur. Ein Traum, von dem er am nächsten Morgen nicht mehr weiß, ob er ihn nun wirklich und wahrhaft geträumt hat oder ob er sich wünscht, dass es ihm träume: Dass da ein Engel die erlösende Botschaft brachte für sein Leben mit der Verlobten. Wie mag es dem Josef ergangen sein: Er, fromm und gerecht, wie wir im Evangelium (Mt 1) vorhin hörten, steht vor der Entscheidung, wie sein Leben weitergehen soll. Alles ist durcheinander, er ist durcheinander. Nicht nur – wie im apokryphen Evangelium nach Jakobus nachzulesen - dass er verwitwet, die ansehnliche Anzahl Kinder in den letzten Jahren allein erziehen und ernähren musste. Allein, das wäre dann zu vermuten, hatte ihn schon ordentlich an die Grenzen seiner Möglichkeiten gebracht. Doch nun hatte er sich eine neue Frau gesucht und war mit Maria einig geworden. Anvertraut war sie ihm. Die Hochzeit absehbar. Sie lebten enthaltsam. Das war keine Frage für ihn. Das war Gesetz. Und dennoch: „Maria ward schwanger“, sagt die Bibel. Er, der Zimmermann aus Nazareth und diese junge Frau aus einfachem Hause. Da war mit nichts Staat zu machen, außer mit der Lebensweise. Mit dem Ruf im Ort. Mit dem, was die Leute sagen.

Josef ist aufgewühlt. Was soll das alles werden?
„Und als Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.“ Josef vertraut darauf, dass der Traum ihm den Weg in die Zukunft zeigt. Er vertraut auf die Stimme des Engels als auf das Wort Gottes an ihn. Und dann, dann tut er, was ihm aufgetragen.

Ob ich das kann? Mich einlassen darauf, dass das Gesagte mir gilt? Dass das Versprochene kein leeres Gerede ist, sondern die Wahrheit, die mein Leben trifft?

Das Licht zwischen den schweren Vorhangteilen auf dem Bild weckt die Sehnsucht nach solchem Vertrauen in mir. Was soll sich zeigen? Ich klappe das Bild auf. Viel heller, als das kleine Feuer mit der Schüssel und der Katze, die nun zu sehen sind, ist die Wiege am linken Bildrand.
Gerade hat die Frau das Kind herausgehoben und nimmt es an sich.

Der niederländische Maler Rembrandt van Rijn hat dieses Gemälde 1646 gemalt. Er lässt uns einen Blick auf eine Alltagsszene im Haus eines Holzhackers werfen. Die Frau mit dem Säugling nah bei dem Feuer, in dessen Nähe die Wiege steht und rechts im Dunklen, weit hinter der Sichtebene, der Holzhacker bei der Arbeit. Rechts dann der Vorhang, so zur Seite gezogen, als würde uns ganz bewusst der Blick gestattet auf eine Szene, die an Alltäglichkeit seiner Zeit nicht zu überbieten ist. Hier ist nichts besonders, nicht herausgehoben, nichts ansprechend oder ansehnlich. Man kann sich vorstellen, wo dieses Bild heute im Museum hängt, gerade mal 50x70 cm groß, da ist man auch schnell vorüber gegangen, das Auge sucht bereits das nächste. Rembrandt zieht den Vorhang beiseite und nötigt den Betrachter, hinzusehen. „Schau doch“, sagt er, „das ist die Heilige Familie! Hättest du das vermutet? Hier, mitten im Dunkel dieses Hauses? Hier, im abgetrennten Zimmer, in das gerade niemand anderes hineinkommt? Ich habe auch deshalb keine Hirten und keine Weisen auf das Bild gelassen. Die Drei hier sind einsam, unter sich. So kommt die Geburt des Herrn der Welt mitten in Euer Jahr 2020“.

Ihr Lieben, lasst uns genauer hinsehen, was uns Rembrandt hier zeigen will.
Maria und das Kind sind heller als ein Großteil des restlichen Gemäldes. Dabei kommt das Licht eindeutig nicht vom Feuer her; die Wiege, die Mutter, das Kind leuchten selbst. Hier liegt das Zentrum des Geschehens. Der Kern von Weihnachten. Josef dagegen kann man kaum erkennen. In der Dunkelheit auf der rechten Bildhälfte ist er intensiv mit Holzhacken beschäftigt. Er hat für das Kind keinen Blick. Der Alltag, seine Situation hält ihn so gefangen, dass das Licht keine Chance hat, ihn hineinzunehmen.
Und wo sind wir auf diesem Bild? Stehen wir noch neben dem ganz in der Situation gefangenen Josef?

Es ist Weihnachten! Nicht, weil wir uns so fühlen sollen, sondern weil Gott die Welt erleuchtet.
Es ist Weihnachten! Das Licht der Welt an einem Ort, an dem wir es nicht vermuten: Dort, wo es traurig und trostlos ist. Dort, wo Einsamkeit herrscht. Da, wo Streit und gegenseitige Vorwürfe einem auf engstem Raum die Luft nehmen. Da, wo die Hoffnung, sich zu sehen, sich zu begegnen, miteinander feiern zu können, nicht erfüllt wird. Wie auf dem Bild hier, müssen wir in diesem Jahr den Vorhang beiseite schieben, um das Wichtigste sehen zu können.

Das Licht leuchtet, damit wir sehen, was in unserem Leben und für das Leben auf unserer Erde wirklich wichtig ist: Dass wir für Gerechtigkeit sorgen und so leben, dass alle Anteil am Leben haben. Das Licht leuchtet, damit wir der Angst nicht trauen, sondern dem Engel: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, euch ist heute der Heiland geboren.“ Das Licht leuchtet, damit wir nicht Corona die Krone überlassen: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ist auf seiner Schulter, und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende…“ Ihm gehört die Krone!

Es ist Weihnachten! Der Vorhang ist weggenommen, zur Seite geschoben. Der Blick auf das Wichtigste ist frei.
Ich sehe hin: Christ, der Retter ist da! Amen.


Weihnachtssegen:
Der barmherzige Gott, der in dem Kind in der Krippe Mensch geworden ist, segne dich.
Er wende dir das liebevolle Antlitz des göttlichen Kindes zu und helfe dir, seine Liebe weiter zu tragen.
Er erfülle dein Herz mit Freude darüber, dass Gott auch in dir Mensch werden und die Welt verändern will.
Er schenke dir und allen Menschen dieser Erde den Frieden, den die Engel an Weihnachten verkündeten.
Er geleite und behüte dich auf deinem persönlichen Weg zum göttlichen Kind in der Krippe.
Er führe dich durch alle Höhen und Tiefen deines Lebens und sei dir nahe allezeit.

So segne dich Gott, der Vater, der treu ist und barmherzig, so segne dich Christus, der menschgewordene Sohn des ewigen Vaters, so segne dich der Heilige Geist, der die Liebe ist und der Leben schafft heute und in Ewigkeit.
Amen.               
(Text: Benediktinerabtei St. Hildegard)


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