28.06.2021
Gottesdienst zum Quedlinburger Musiksommer am 20. Juni 2021 aus der Marktkirche Quedlinburg

Predigt von Landesbischof Friedrich Kramer, übertragen durch den MDR-Rundfunk unter Leitung der EKM-Rundfunkbeauftragten Ulrike Greim

 

Predigttext aus Lukas 15,11-32:

Einige Zöllner und Sünder näherten sich Jesus, um ihm zuzuhören. Die Pharisäer und Gelehrten beschwerten sich: Er lässt sich auf die Sünder ein und isst sogar mit ihnen. Jesus antwortete ihnen: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von den beiden forderte den Vater auf: Gib mir den Teil vom Erbe, der mir zusteht! Da teilte er das Erbe unter den beiden auf. Nach einigen Tagen packte der Jüngere alles zusammen und ging in ein weit entferntes Land. Dort verschwendete er das ganze Erbe mit einem ausschweifenden Lebensstil. Als er alles ausgegeben hatte, kam eine große Not über jenes Land und er geriet in Armut. Er machte sich auf und hängte sich an einen Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf den Acker zum Schweinehüten. Er wollte sich von dem Schweinefutter sättigen, aber niemand gab ihm etwas davon. Da ging er in sich: Wie viele Arbeiter meines Vaters haben Brot in Hülle und Fülle, ich aber gehe am Hunger zugrunde. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sprechen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht wert, dass ich dein Sohn genannt werde. Mach mich zu einem deiner Arbeiter. Und er brach auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und bekam Mitleid mit ihm. Er lief zu ihm, fiel ihm um den Hals und umarmte ihn. Der Sohn aber sagte: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht wert, dass ich dein Sohn genannt werde. Der Vater aber sprach zu seinen Hausangestellten: Schnell, holt den besten Umhang und kleidet ihn, steckt ihm den Ring an den Finger und gebt ihm Schuhe an die Füße! Und bringt das Mastkalb, schlachtet es, und lasst uns froh sein und essen! Denn dieser mein Sohn war tot und hat das Leben wieder, er war verloren und ist wiedergefunden. Und sie begannen, fröhlich zu feiern. Der ältere Sohn war zu der Zeit auf dem Acker. Als er sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Gesang. Er sprach einen von den Bediensteten an, was es damit auf sich habe. Der sagte ihm: „Dein Bruder ist gekommen. Dein Vater hat das Mastkalb geschlachtet, weil er ihn heil wiederhat.“ Der Bruder wurde zornig und wollte auf keinen Fall dabei sein. Aber der Vater kam heraus und bat ihn. Aber er sagte zu seinem Vater: Sieh doch: So viel Jahre habe ich für dich gearbeitet und niemals eine Anweisung von dir übertreten. Und du hast mir nicht einmal einen einzigen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden feiern kann. Wenn aber dieser dein Sohn kommt, der dein ganzes Erbe mit Schande verjubelt hat, da schlachtest du ihm das Mastkalb. Er aber antwortete darauf: Kind, du bist immer bei mir, alles, was mir gehört, ist auch deins. Du solltest aber froh und glücklich sein, denn dieser dein Bruder war tot und lebt, er war verloren und ist wiedergefunden.

 

Predigt zu Lukas 15,11-32 "Vom wiedergefundenen Sohn | Vom liebenden Vater der zwei Söhne":

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! AMEN

Liebe Schwestern und Brüder, liebe von Gott gesuchte Söhne und Töchter, wiedergefundende oder noch wiederzufindende. Friede sei mit Euch!

Wann bist Du das letzte Mal verloren gegangen und wann bist Du wiedergefunden worden? Erinnerst Du Dich noch? Unsere Kleinen halten sich gerne die Hände vor die Augen und denken, sie sind nicht mehr zu sehen, weil sie auch nichts sehen. Oder verstecken sich unter der Bettdecke und machen sich ganz flach und freuen sich riesig darüber, wenn sie gefunden werden. Versteckenspielen macht Spaß: „Eins zwei drei vier Eckstein, alles muss versteckt sein.“ Spielerisch lernen wir eine Haltung, des Suchens und Findens und die Freude daran.

In der Geschichte vom wiedergefundenen Sohn mündet die Freude über das Wiederfinden in ein großes Fest mit Musik und Tanz.

Aber bis dahin ist es ein harter Weg. Der Sohn muss erst zu sich selbst finden, sich und seine Situation klar erkennen, die eigene Sündhaftigkeit schmecken, um umkehren zu können. Die Dramatik, wenn jemand verlorengeht, ist kein Versteckspiel. Aber wir lernen schon im Kinderspiel: Es ist einer da der dich sucht und wiederfinden macht große Freude!

Wie würden Sie die Geschichte nennen? Sie dürfen sich da frei entscheiden, denn die Titelüberschriften in unserer Bibel sind erst später hinzugefügt wurden und wenn Sie mehrere Ausgaben vergleichen, merken sie, dass diese variieren. Bleiben Sie bei: „Vom verlorenen Sohn“? Das ist uns nah. Gerade heute, wo wir so bitter erfahren haben, wie schnell vieles verloren geht. Wie wir auseinanderbrechen und einander verloren gehen in den Familien und im gesellschaftlichen Miteinander. Wir brauchen einander in der Nähe um nicht verloren zu gehen – uns selbst und unseren Lieben. Und dann ist da noch der ältere Sohn der in seinem Zorn verloren zu gehen droht. Ist er der verlorene Sohn?

Menschen gehen täglich verloren auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Heute am Weltflüchtlingstag stehen die verlorenen Töchter und Söhne vor unseren Augen mit all dem Leid, dass sie erfahren haben und wir bitten für sie.

Unsere Geschichte erzählt vom Verlorengehen und Wiederfinden. Wir könnten sie also auch „Vom wiedergefundenen Sohn“ nennen. Und da klingt schon im Titel Freude und Musik mit. Und dass ein Familiendrama eine so fröhliche Wendung nimmt, ist schon einen Titel wert. Oder würden Sie lieber den barmherzigen und großzügigen Vater in den Mittelpunkt stellen: „Vom großherzigen Vater“. Großherzig, wie er die Arme öffnet und sich riesig freut. Und der Vater lässt den jüngeren Sohn fünffach ehren, macht ihm keinerlei Vorhaltung, sondern es gibt ein festliches Gewand, mit dem Ring am Finger, der ihn zum Stellvertreter des Vaters macht, mit Schuhen – ein Zeichen, dass er ein freier Mann ist er und kein Sklave - mit einem Mastkalb das geschlachtet wird und mit einem Fest. Ja der Vater ruft: „Macht Musik!“ So wie es das Motto des diesjährigen Quedlinburger Musiksommers ist! Und wir sagen: „Macht endlich wieder MUSIK!“

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Bläser Musik
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Jesus redet von Gott und sich in Bildreden – in Gleichnissen. Seine Bilder entnimmt Jesus dem Alltag und sie zeigen: Du kannst überall Gott finden und von Gott gefunden werden: Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn, wie ein Saemann, wie eine Frau, die einen Teig knetet.

Aber unser Gleichnis steht nicht im Zusammenhang eines Gottes-Reiches-Vergleich, sondern ist eine Verteidigungsrede Jesu. Denn es gibt viele, die sich darüber aufregen, dass er, der fromme Rabbi Jesus, mit Zöllnern und Sünder zusammen speist. Die Kritiker murren und sprechen: „Dieser nimmt Sünder an und isst mit ihnen“. Wer mit Sündern isst, ist selber ein Sünder und wird unrein.

Jesus macht dagegen deutlich: nicht das, was der Mensch in sich aufnimmt oder mit wem er isst macht ihn unrein, sondern das, was über seine Lippen kommt – wie er von Gott spricht und sich verhält. Jesus steht dafür, dass es keine Ausgrenzung geben kann. Niemand soll verloren gegeben werden. Und so sagt es jeder Pfarrer und jede Pfarrerin, jede ordinierte Prädikantin und jeder ordinierte Prädikant: Es ist das Versprechen und der Auftrag „Gib niemanden verloren“.

Auch bei uns geht es viel um Reinheit. Um die Reinheit wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber was ist nun die reine wissenschaftliche Erkenntnis, an der wir unser Handeln z.B. in der Pandemie ausrichten sollen? Der Streit darüber wird oft nicht nüchtern wissenschaftlich im Abwägen der Argumente betrieben, sondern von vielen wie ein Kampf um die reine Lehre.

Schnell ist man füreinander verloren. Sie hat an einer Demonstration gegen die Einschränkung demokratischer Rechte im Rahmen der Coronamaßnahmen teilgenommen und da waren auch Querdenker – schon ist sie raus. Er hat mit einem Rechtsradikalen geredet- schon ist er raus. Sie engagiert sich in der Flüchtlingsarbeit und kämpft für deren Würde – sie ist raus für andere, ist damit verloren und verunreinigt.

Für uns Christen tut sie einen Christusdienst, denn Christus sagt: „Ich war fremd, aber ihr habt mich bei euch aufgenommen.“ (Matthäus 25,35)

Diese Haltung „Weil du mit denen geredet hast, bist du raus.“ Finden wir überall. Schnell wird der Stab gebrochen und ausgegrenzt, beschuldigt und verloren gegeben. Auf allen Seiten. Auf der anderen Seite gehen uns immer mehr Menschen verloren. Der Kirche, der Demokratie, der Menschlichkeit. Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit brechen sich neu Bahn und längst überwunden Geglaubtes bricht hervor. Schnell geht einer Verloren. Verstrickt sich im Dickicht der Sünde und der Lüge, digital noch verstärkt und findet nicht den Weg zu Glaube, Hoffnung und Liebe, zurück zur Gemeinschaft in Liebe und Respekt. Nur Wut, Gebrüll, Belehrung und Besserwisserei, Selbstrechtfertigung und Fremdverurteilung ohne Ende auf allen Seiten. 

Das ist eine heiße Debatte, heute wie zu Jesu Zeiten. Schnell wird unterstellt, dass das Böse oder Unmoralische oder Falsche abfärbt. Aber bei Jesus ist es andersherum, er geht davon aus, dass das Gute und die Liebe abfärben, wenn er ins Spiel kommt und so kann er seine Jüngerschaft aus völlig gegensätzlichen und verfeindeten Menschen zusammenrufen. „Wir gegen Die“ – dem widerspricht Jesus mit seinen Geschichten vom Wiederfinden. Wir sind verbunden und gehören zusammen. Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Reinheit wird nicht durch Abgrenzung gewonnen, sondern nur durch die Liebe, wie sie der Vater in der Geschichte zeigt und durch die Freude über die Gefundenen.  Umkehr ist immer möglich. Man ist nicht für immer abgestempelt. Wir sind nicht gefangen durch unsere Geschichte, sondern Jesus lädt uns zur Freude über die Rückkehr der Verlorenen ein und lädt jeden ein zurückzukehren.

Wird es Frieden geben im Hause des Vaters mit Herz? Werden die beiden Brüder zusammen singen und tanzen und kann die Macht der Musik die Schwere des Zornes des Älteren und die unerwartete Ehrung für den Jüngeren in einer Umarmung beider münden lassen. Das liegt an Dir, wenn Du Dein Herz öffnest und bereit bist Dich mitzufreuen und in ein gemeinsames Leben umzukehren.

Wie können wir das üben? Einander suchen und einander vertrauen. Hanna [Bezug zu Vorworten eines Gemeindeglieds] hat gesagt: „Zu jeder Freundschaft gehört das Suchen dazu“. Einander suchen und besuchen – vertraut werden, so wie es Hanna von Ihrer Freundschaft zu den Pferden erzählt hat.

Einander suchen und finden braucht auch Respekt vor denen, die erst einmal nicht gefunden werden wollen, sondern Ruhe wollen, um zu sich selbst zu kommen, wie Charlotte [Bezug zu Vorworten eines Gemeindeglieds] es beschreibt. Es bedarf der Achtsamkeit den ganzen Menschen nicht auf eine Rolle zu reduzieren. Der Vater in der Geschichte kann dies: Er macht keine Vorhaltungen, sondern er bricht in Freude und Tanz aus und lädt auch den zornigen älteren Bruder ein: Freue Dich mit, denn Dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden.

Wir können das üben: Mit offenen Armen einander begegnen, miteinander feiern und die Verlorenen, die zurückkehren, herzlich begrüßen.

Die großartige Geschichte Jesu, ergreift unsere Herzen und ist eine offene Geschichte. Sie will zu Deiner Geschichte werden.

Und der Friede Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus

Amen


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