15.04.2022
Karfreitag 2022 in Eisenach Predigt zu LK 23,32-49, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Der Tod: von weltlichen und geistlichen Machtzentren öffentlich in Szene gesetzt.
Die Soldaten nehmen ihre Waffen, die Kleidung des Getöteten und gehen zurück in die Kaserne. Sie haben ihren Dienst erledigt.
Jesus ist tot. Gekreuzigt um die 12. Stunde nach Sonnenaufgang am Ende einer Woche um das Jahr 30. Die Staatsdiener habe die Drecksarbeit erledigt. Nachfragen wären sinnlos gewesen, man hörte auf Befehle, ordnete sich unter. War doch nur ausführendes Organ…
Was dem Gekreuzigten an jenem Karfreitag geschah, ist das Gegenprogramm zu dem, was der Gekreuzigte selbst ist. Jesus: Zeuge für Gottes Gerechtigkeit und Vergebung.
Als solcher war er auch als Messias erwartet. Etwa von Jesaja.
„Er wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande ... Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften“, schreibt der Prophet.
Als solcher wurde er ersehnt: als Anwalt der Armen, Unterdrückten, der Notleidenden, Benachteiligten und Elenden. Nun hängt er - gefoltert, gedemütigt und nach fragwürdigem Prozess verurteilt - am Kreuz. Aufgespannt zwischen Himmel und Erde. Links und rechts von ihm Straftäter.
Nüchtern erzählt Lukas die Geschichte. Hören wir, ob sie uns nicht doch Evangelium, also gute Botschaft werden kann.
Lesung aus dem 23. Kapitel:
32 Es wurden auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit Jesus hingerichtet würden. 33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig
37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
40 Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!
48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus, Amen.
Liebe Gemeinde,
„Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.“
Gerade wegen seiner Knappheit und Nüchternheit geht mir der Satz durch und durch. Ein Satz reicht. Geschrieben, distanziert wie eine Zeitungsnotiz oder die Eilmeldung auf einem Nachrichtenkanal.
Und dann ein Bruch. Plötzlich nicht mehr distanzierte Ferne. Plötzlich ganz nah dran: Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Bewegende Worte.
In einigen Handschriften des Evangeliums fehlt der Vers.
Eine mögliche Erklärung aus der Geschichte Israels: Als im Jahr 70 die Römer Jerusalem einnahmen und den Tempel zerstörten, sahen das Christen als Strafe für die Kreuzigung Jesu an. „Da waren doch die Juden selbst dran schuld“, meinten sie.
Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! „Das kann doch Jesus nicht so gemeint haben! Den Tätern vergeben? Dieser anstößige Vers muss raus!“ Nicht überall fehlte er. Und so konnte ihn Martin Luther, als er auf der Wartburg das Neue Testament übersetzte, übernehmen.
Ein Satz - eine ganze Theologie!
Mich erinnert dieser Satz Jesu an ein Gebet aus einem der Todesorte im Deutschland des vergangenen Jahrhunderts. Gerade jetzt im April erinnern wir uns ja wieder an die Befreiung der Vernichtungslager im Jahr 1945: Buchenwald, Mittelbau-Dora, Bergen-Belsen, Sachsenhausen, Flossenbürg, Dachau, Ravensbrück. Aus Ravensbrück stammen Zeilen, in denen heißt es:
„Friede den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende aller Rache …Die Grausamkeiten spotten allem je Dagewesenen, sie überschreiten die Grenzen menschlichen Begreifens, und zahlreich sind ihre Märtyrer. (…) auf dass wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde den Menschen, die guten Willens sind, und dass dieser Friede auch zu den anderen komme.“
Ein Gebet aus dem KZ, geschrieben im Geiste Jesu: so wie er nicht gegen Feinde und Gegner wütet, nicht einmal gegen die tatenlos Zusehenden. Vielmehr alle Gott vor die Füße legt: Hier, Vater, nimm Hass, Unterdrückung und Gewalttaten. Nimm hin alle Gleichgültigkeit der Menschen. Ziehe sie zu dir.
Welche Bedeutung Jesu Fürbitte für den Schuldigen hat, zeigt ein Blick auf die jüdische Gerichtspraxis. Vom Angeklagten wurde ein Schuldbekenntnis erwartet. Der Hohepriester stand dabei, nahm es entgegen und sprach den Schuldigen ledig und los. In diesem Sinne bittet Jesus für seine Mörder. Luther schreibt, hier spricht unser aller Hohepriester.
Und Jesus bittet auch an Gottes Statt: Denn der Schmerz, den Menschen damals Jesus zugefügt haben, ist Gottes Schmerz. Und der Schmerz, den Menschen in Ravensbrück und Buchenwald Menschen zugefügt haben, ist Gottes Schmerz. Und der Schmerz, den Soldaten der russischen Armee heute Menschen in Kiew, Butscha und Kramatorsk zufügen, ist Gottes Schmerz. Jesus übergibt die Schuldigen seinem Vater, der wird Recht sprechen.
Bis zum letzten Atemzug hat Jesus die im Blick, zu denen er gesandt ist, hält daran fest, ‚zu suchen und selig zu machen, was verloren ist‘ (Lk 19,10).
Liebe Gemeinde,
die allgemeine Bitte um Entschuldung der Menschen durch Gott wird im Gespräch Jesus mit dem einen der beiden Übeltäter ganz konkret. Diesem sagt Jesus auf den Kopf zu: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Mitten in der Hölle grausamen Leidens reißt Jesus den Himmel auf und zeigt das Paradies. Hier wird einem zugesprochen: „Dir sind deine Sünden vergeben, deine Entfernung von Gott ist überwundern. Mein Kreuz bringt dich mit hindurch.“
Jeus Kreuz - Durchgang zum Paradies.
‚Und das Volk stand da und sah zu.‘ – Gaffer und Schaulustige am Ort der Katastrophe. Oder auch bewusst hinbestellt, um eingeschüchtert und kleinlaut zu werden?
Das Volk glotzt, gafft, guckt zu. Karl Barth schreibt: Hier steht auch die erste christliche Gemeinde. Wir sehen angewidert, interessiert, erschrocken auf das, was vor unseren Augen geschieht. Waren wir, Hörerinnen und Hörer, bis dahin nicht eingeplant in dieser Geschichte, stehen mit nun mit unterm Kreuz.
Anders, als die anderen Evangelien es erzählen, stirbt Jesus nach Lukas nicht mit einem Schrei oder mit verständigem „es ist vollbracht“. Er stirbt mit dem Abendgebet eines frommen Juden auf den Lippen (Psalm 31,6): „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“
Wir werden Zeugen eines höchst innigen Einvernehmens zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn. Dass es Gott selbst ist, der am Kreuz leidet, wird noch einmal unterstrichen. Jesus lässt sich nicht das Leben nehmen, sondern übergibt es dem Vater.
Die letzten Worte sind ein liebevolles Zwiegespräch. Was für ein Testament!
Als solches hört es auch der römische Hauptmann. Er erkennt Jesus als den ‚Gerechten‘. Aus einem Gleichgültigen und Täter wird einer, der ab jetzt genau hinsehen wird.
Sieh auch du hin, Gemeinde, wie Jesus stirbt, so wirst auch du genau hinsehen...
Jesus Christus / wenn ich dich frage / warum du so gestorben bist / umgeben von Zuschauern / ein Spott der Leute –
Dann erkenne ich mich wieder;
Meine krampfhaften Versuche, jeden Schmerz zu vermeiden / die Abgründe in mir, die ich nicht begreifen kann / meinen Wunsch nach Ruhe, der mich oft gefühllos und gleichgültig macht / die Gedankenlosigkeit, mit der ich meine Tage zubringe / die Schuld, die ich zu vergessen suche.
Und ich erkenne meine Welt:
Die Macht, die Menschen missbraucht und zerstört / den Fortschritt, der sich selbst zugrunde richtet / den Krieg, begonnen aus Angst / die Unfähigkeit, Unrecht beim Namen zu nennen und ihm entgegen-zutreten / die Gewöhnung an das alles, die sich nicht mehr erschrecken lässt –
Und ich erschrecke, Herr,
über mich und diese ganze Welt / und suche dich / und frage dich / am Kreuz, Herr / wer ich bin / woran ich leide / wer an mir leidet / und wem ich Hilfe und Hoffnung geben kann / trotz allem.
(Wolfhart Koeppen, PST III/1, 1981, 197).
Ihr Lieben,
der Karfreitag führt uns in die Tiefe. Auch in die Abgründe, in unsere Abgründe. Das Evangelium aber bezeugt, dass es keine Tiefe und keinen Abgrund gibt, in denen Gott nicht schon da ist.
Selbst im Tod? Ja und Amen, auch da ist Gott schon da.
Das ist das Geheimnis dieses Tages: Das Wort des Lebens inmitten des Todes. Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen.
Gott will nicht ohne den Menschen leben. Gott lebt für uns! Dass Gott lebt, feiern wir am Ostertag. Dass Gott für uns lebt, ist die Wahrheit seines Todes. Beides gehört untrennbar zusammen. Beides bringt uns
…den Frieden Gottes. Und der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen