27.04.2022
Predigt zur Eröffnung der Landessynode 27.04.2022, Predigttext Johannes 20, 19-29, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Gnade sei mir euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus, Amen.
Der Himmel brennt. So titelt eine Zeitung dieser Tage und zeigt das Bild der weißen, zwiebelbetürmten Kirche in Odessa vor rauchschwarzem Hintergrund. Hier soll es Ostern werden? Am vergangenen Sonntag haben orthodoxe Christen auf der ganzen Welt, auch in Russland und der Ukraine, Воскресение verkündet. Selbst dort, wo in blinder Willkür Ausgangssperre in der Osternacht angeordnet war, hieß es untereinander: Воскресение. Das Wort wird ukrainisch und russisch beinahe gleich ausgesprochen, vor allem aber sind Inhalt und Bedeutung dieselben: Jesus Christus, Herr über den Tod! Alles Leid, alles Geschrei wird ein Ende haben! Der Herr ist auferstanden, Halleluja! … Zeitgleich bringen uns die Berichte und Bilder vom Krieg beinahe um den Verstand, zeitgleich greifen russische Soldaten, auch christliche, ihre Brüder und Schwestern an, verletzen, vergewaltigen, töten. Leid ohne Ende…
Liebe Gemeinde aus Schwestern und Brüdern,
wie sollte man da nicht zweifeln an der Osterbotschaft? Ja, in diesem Jahr ist mir der Jünger Thomas sehr nah.
Thomas. Was ihm die anderen Jünger über die Begegnung mit Jesus erzählen, kann er nicht glauben. Seine Tage versinken weiter in Unsicherheit und Trauer. Eine schwere Zeit für ihn!
Während Maria Magdalena und die anderen Jünger wieder und wieder erzählten, wie der Auferstandenen sie besucht, sich ihnen gezeigt hatte, blieb er mit seinen Zweifeln, der Unruhe und dem Gefühl absoluter Aussichtslosigkeit zurück. Wie allein gelassen mitten unter den Jesusnachfolger, den Freunden. Wie ins Abseits gestellt, weil er nicht teilgehabt hatte an jener Begegnung, die den anderen Mut und Hoffnung in Gesicht und Herz schrieb.
Ja, er fühlt sich verloren. Er will nicht einfach einstimmen in die Glaubensüberzeugungen der anderen. Will nicht so tun, als ob. Ihn, Thomas, hatte Jesus nicht erreicht! Er spürte nichts, fühlte nichts. Die anderen Jüngerinnen und Jünger waren ergriffen, das sah er ihnen an, das zeigten sie ihm mit jeder Pore ihres Daseins. Aber er war nicht da gewesen, war nicht dabei, hatte nichts von alledem gesehen, gehört, gespürt, wovon die anderen nun überwältigt und so eingenommen waren, dass sie ihr Leben in einem anderen Licht sahen.
Nicht so für Thomas.
Wieder wird es Sonntag. Die Sonne geht auf, auch über dem Haus, in dem die Jünger versammelt sind. Thomas ist dabei.
Die Türen sind gut verschlossen, verbarrikadiert vor den Gefahren, die vor der Tür lauern.
Da tritt Jesus in ihre Mitte und grüßt sie mit jenem Gruß, mit dem er sie immer begrüßt hatte. „Friede sei mit euch!“
Jesus wendet sich auch Thomas zu „Friede sei mit dir“, und Thomas kann gar nicht fassen, was er da hört.
Jesus sieht in Thomas nicht den Ungläubigen. Ach, ihr Generationen, die ihr seitdem diesen Mann immer diesen zweifelhaften Beinamen gegeben habt: Thomas, der Ungläubige. Thomas, der Zweifler. Diesen Namen hat er sich bestimmt nicht selbst gewählt und auch Jesus hat ihn nicht so genannt. Jesus sieht, wie sein Jünger nach Glauben sucht, um Vertrauen ringt, ihn begreifen will. Und es ist dieses Begreifen selbst, das Thomas zu Jesus führt.
Thomas lässt sich dann von Jesus führen, seine Finger in die Wunden legen. Diese Wunden Jesu, die alles Wunde dieser Welt vereinen. Diese Wunden, die die Verwundbarkeit des Friedens zeigen trotz allem „Schalom aleichem - Friede sei mit euch“. Wunden, die Jesus schmerzen, wenn er die Welt sieht: die Welt, in der sich Menschen gegenseitig ans Messer liefern, mundtot machen, die Seele aus dem Leib treiben, am ausgestreckten Arm verhungern, ertrinken, ersticken lassen. Die Welt, in der junge Männer meinen ihm einen Gefallen zu tun, wenn sie die Häuser ihrer Brüder in Schutt und Asche legen, ihren Frauen Gewalt antun, die Alten irre vor erinnertem Schmerz und die Kinder zukunftslos machen. Jesus muss weinen und klagen „Ach, wenn du doch erkenntest, was zum Frieden dient.“
Und Thomas? Ich stelle mir vor, wie er seinen Finger in die Welt-Wunden Jesu legt. Er ahnt, wie schmerzhaft-heilsam es ist, den Finger in eine Wunde zu legen, zur Sprache zu bringen, was sprachlos macht, damit es beweint werden kann.
Und Thomas geht noch einen Schritt weiter.
Er will es ganz für sich, er will es höchstpersönlich begreifen, dass man mit diesen Wunden leben kann! So wie Jesus! Der Auferstandene erweist sich in den Ostergeschichten als der mit den Wundmalen. Wären diese verheilt und nun der Welt unsichtbar, wären sie im Tod verloren. Nicht aber so: Der Auferstandene trägt die Wunden der Welt ins Leben, lebt trotz und mit ihnen! So erfährt Thomas, ergriffen von Jesu Wunden selbst, dass ihm nur der Gekreuzigte der Auferstandene sein kann.
(flüsternd) „Mein Herr und mein Gott!“
Durch die Wunden Jesu sehe ich die Wunden dieser Welt. Die tausenden Kreuze, die sich an den Stadträndern in der Ukraine, auf den Hügeln im Jemen, in der Steppe von Kongo, auf den Höhen Syriens, in …
Durch die Wunden Jesu sehe ich wie in einem Brennglas die Auswirkungen, die diese und andere Kriege für unser aller Leben haben werden. Was für ein Kreuz liegt auf der Welt!
(flüsternd) „Mein Herr und mein Gott!“
Jesu Friedensgruß und seine Wundmale gehören zusammen! Und gerade so werden sie für Thomas zur überzeugenden Kraft der Auferstehung aus Leid und Tod.
Thomas. Wenn ich in dein Gesicht sehe, dann entdecke ich mich selbst:
So viele Zweifel und Fragen bewegen mich in diesen Tagen. Gerade in der vergangenen Woche habe ich mit Vertretern der Bundeswehr und Vertretern unserer Landeskirche und aus Friedensgruppen zu den Fragen von Krieg und Frieden diskutiert. Was ist richtig, was ist Recht? Was ist unser Auftrag als Kirche?
Ich ringe um Positionen in den friedensethischen Diskursen und um den konstruktiven Umgang mit ganz unterschiedlichen Einstellungen. Ich frage nach Gottes Wort für die Situation und habe Sehnsucht danach, Jesu Anrede „Friede sei mit dir“ für mich zu hören. Ja, ich kenne die Schwierigkeit, auf Gott zu hoffen, der verborgen und fern erlebt wird, auch.
(flüsternd) „Mein Herr und mein Gott!“
Thomas. Suchender, der alles bisher Gehörte, Gesehene und Gesagte durch diese erfahrene Abwesenheit Gottes als „naiv“ empfindet, nimm mich mit auf deine Suche! Lass uns gemeinsam unsere Gewissheiten gegen den Strich bürsten und zu neuen kommen.
Ja, du weißt es schon und ich ahne es wohl: Gott wohnt nicht an der Oberfläche.
Unser Glaube ist keine ein für alle Mal gewonnene feste Burg, sondern ähnelt einer abenteuerlichen Fahrt durchs tobende Meer, manchmal auch einem Herumirren durch Wüsten.
Ich ahne, mein Glaube will mich konfrontieren mit dem, was nicht fassbar, greifbar oder be-greifbar ist – mit den Fragen nach dem Geheimnis Gottes.
Thomas hält diese Fragen offen, um sie Jesus begegnen zu lassen. Er hält seine Zweifel und seine Abgründe dem Auferstandenen entgegen. Er will die Wahrheit auf ihren Gehalt prüfen.
Damit bringt er seine und auch meine tiefe Sehnsucht nach Bestätigung zum Ausdruck. Ach, könnte ich doch die Zusicherung des Friedens verbinden mit dem Bekenntnis „Mein Herr und mein Gott!“ Gerade jetzt scheint mir beides voneinander abgerückt und entfernt, leise.
Ihr Lieben,
Thomas hält seinen Zweifel aus, ganz gleich, ob nun von Sonntag zu Sonntag oder durch alle Wochentage des Lebens. Der Zweifel macht Thomas sensibel und aufmerksam für das, was ist und wie es ist. Sein Zweifel fragt und will begreifen, geht in die Tiefe, geht der Sache auf den Grund, bohrt nach, gräbt nach dem Fundament, greift nach den Sternen und nimmt uns mit auf seine Suche.
Thomas nimmt seine Zweifel in die Hand, als Jesus diese in seine Wunden legt. Und unsere
Finger liegen dabei ganz nah bei den seinen.
„Der Glaube ist gerade für jene Zeiten der Dämmerung, der Vieldeutigkeit des Lebens und der Welt wie auch für die Nacht und den Winter des Schweigens Gottes da. Er ist nicht dazu da, um unseren Durst nach Gewissheit und Sicherheit zu stillen, sondern um uns zu lehren, mit dem Geheimnis zu leben.“
Ach, mein Herr und mein Gott, wir warten auf Dich! Wir setzen auf Deinen Frieden. Leise und tastend. Unser Glaube sucht dich wie die Finger des Thomas den geschundenen Leib deines Sohnes suchten. Dass du gerade ihn zum Frieden gemacht hast, übersteigt unser Denken und Fühlen. Bewahre uns in diesem Frieden, auf dass wir ihm vertrauen.
Amen