08.08.2018
Ökumenischer Festgottesdienst zum Hohen Friedensfest am 8. August 2018 in Augsburg

Predigt aus dem Gottesdienst in der Basilika St. Ulrich und Afra zu Jesaja 65,17-25

So spricht Gott: 17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.

18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. 20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.

21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. 23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.

24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. 25 Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde am Hohen Friedensfest!

Wie hoffnungsfroh sind die Worte, die wir gehört haben. Wie  hoffnungsfroh und zuversichtlich:

Dass endlich Friede werde:

  • Friede zwischen Menschen verschiedener Nationen und Religionen,
  • Friede auch zwischen Menschen und Tieren und Pflanzen und zwischen Menschen und dem Wasser und der Luft.

Dass Friede werde, weil Gerechtigkeit herrscht;

  • Gerechtigkeit, damit Menschen nicht mehr aus ihrer Heimat fliehen müssen;
  • Gerechtigkeit, sodass die Armen sich freuen und alle satt werden;
  • Gerechtigkeit, die Frieden schafft.

So hoffnungsfroh sind diese Worte und die Bilder, die sie vor Augen malen. Und dazu die Verheißungen der Seligpreisungen für die Armen und Trauernden und Verfolgten. Und des Predigttextes aus Jesaja: ein neuer Himmel und eine neue Erde; Stadt und Land, alle Menschen in Freude gestimmt, frei von den Lasten der Vergangenheit und ohne Weinen oder Klagen. Und auch Gott ist fröhlich über Jerusalem und sein Volk. Jerusalem wird ein Ort des seligen Vergessens und der jubelnden Wonne, wo weder Kinder einen frühen Tod noch Alte einen jähen Tod mehr sterben müssen; wo die Tage und das Leben erfüllt sind; wo auch die Arbeit der mittleren Generation nicht mehr für andere geschieht, sondern die Menschen das genießen können, was sie schaffen; wo Gott schon hört und antwortet, noch ehe eine Menschenbitte über die Lippen drängt; wo sogar unter den Tieren Frieden herrscht und die Zähne von Wolf und Löwe stumpf sind, weil sie sich nicht mehr im Fleisch von anderen Tieren fest beißen.

Wie geht es Ihnen mit solchen hoffnungsfrohen Bildern?

‚O ja‘, mögen Sie denken und ein Sehnen in Ihrem Herzen spüren, ‚oh ja, wie schön wäre das!‘

‚Aber‘, so mag sich schnell der Kopf einschalten ‚ das ist zu schön um wahr zu sein! Das ist doch utopisch‘.

„Das ist doch utopisch!“, so sagen wir, wenn wir etwas für unrealistisch halten, für irreal, für reine Phantasie, fern von der Wirklichkeit, „nur ein Traum – eine Utopie“. Und damit liegen Sie gar nicht so falsch. Denn genau das sagt das Wort: ou  topos, aus dem Griechischen wörtlich übersetzt heißt: kein Ort. Utopie, das hat keinen Ort in der Welt.

 

Und doch – ist es da; ist in unseren Worten, in solchen Bildern, in unseren Seufzern und unserer Sehnsucht. Paradox ist Utopie: Etwas hat (noch) keinen Ort und sucht sich dennoch einen Ort – und sei es nur in unserem Herzen, in unserem Denken, in unserer Sprache. Utopisches hat noch keinen Ort in dieser Welt – aber: Es kommt mit einem Anspruch auf eben diesen, auf einen solchen Ort. Es liegt im Streit mit dem Faktischen. Es fragt die Welt, wie sie ist, kritisch an.

Doch welche Chancen hat Utopisches?

Wie war das damals als Jugendliche, als solche Träume und Bilder von einer gerechten Welt in Ihrem Herz und Verstand Wohnung nahmen, haben Sie da auch von Erwachsenen gehört: „Du wirst auch noch merken, was geht und was nicht. So sind die Menschen nicht, so werden sie auch nicht werden, so ideal und tadellos“. Ja, so sagten die Erwachsenen, als ich mit 16, 17 Jahren mit ihnen über antiautoritäre Erziehung, als Studentin über „Frieden schaffen ohne Waffen“ diskutiert habe.

Und sie hatten recht: Ja, wenn wir auf uns, wenn ich auf  mich selbst und auf die Menschen schaue: Sie sind nicht ideal, nicht ohne Fehl und Tadel, ohne Gier, Neid und Eigennutz, nicht ohne Lust an Gewalt und an Herrschaft über andere und Ausbeutung. Wir erleben in diesen Wochen, wie schnell das verleumdet und kriminalisiert werden kann, was als unerschütterlicher Konsens galt: Menschen aus Not, aus Seenot retten ist eine Selbstverständlichkeit, Gebot für alle! Das wird plötzlich zu einer Bedrohung und ist kriminell?! So schnell kann ein gesellschaftlicher Konsens in Frage gestellt, zu Utopie werden, soll keinen Ort mehr haben.

Und auch wer mit der besten Absicht Ideale in Wirklichkeit umsetzen, ja durchsetzen will, das ist unsere geschichtliche Erfahrung, greift früher oder später zu Gewalt. Das war die große Angst von lutherischen Reformatoren, dass die sog. Schwärmer wie z. B. die Täufer zu radikal sind. Deshalb wurden sie im Namen des Evangeliums verfolgt und ermordet, auch hier in Augsburg.

Alle Religionskriege, auch der Dreißigjährige Krieg, sind von bester Absicht für die Wahrheit geprägt; bis zu den fundamentalistischen Terrorgruppen und –staaten heute. Einen Staat und eine Gesellschaft nach bestimmten Idealen formen wollen – das führt zu einem Totalitarismus, der schlimmste Folgen hat. Denn bei all dem wird die Idee, wird  das Ideal wichtiger als die Menschen. Im Zweifelsfall geht das Ideal auf Kosten und zu Lasten der Menschen.

Deshalb ist es gut, wenn wir skeptisch sind gegenüber großem Überschwang; gegenüber den Idealen, die uns Populisten vorgaukeln ebenso wie gegenüber unverhohlenem Eigennutz, wie er als Politik über den großen Teich zu uns schwappt und die Weltkultur neu prägen will. Aber lassen Sie uns nicht nur auf andere schauen. Es ist wichtig, auch selbstkritisch zu fragen, welchen Idealen wir uns mehr oder weniger bewusst verpflichtet haben. Wir selbst hängen ja, so denke ich, im Ideal von der Selbstregulierung des Marktes zuerst an der Rendite, an den Kapitalerträgen, am Reichtum – und nicht zuerst an einem Wirtschaften, das den Menschen dient und dem Lebensraum für alle. An der Zerstörungskraft, die dieses Ideal entwickelt, daran können wir erkennen: Es ist kein Schicksal, es ist ein Ideal, das hohe Kosten, übergroße Opfer fordert.  

Wir merken in unserer Generation zunehmend: Wenn unsere Welt die Realität ist, wenn wir uns an dieser Realität mit ihren, mit unseren selbstgemachten Idealen orientieren dann wird die Welt bald eine Utopie sein; ganz in dem Sinn des Wortes: Dann wird sie eine Welt ohne Ort. Ich denke an den Welterschöpfungstag – in 30 Jahren ist er von Ende Oktober auf Anfang August vorgerückt, so früh schon alles verbraucht, was für ein ganzes Jahr reichen soll. Wenn wir mit dieser Realität so weiter machen, dann wird die Welt bald gewesen sein; sie wird nicht  mehr sein. Und das gilt auch für die neuen Hoffnungen auf Künstliche Intelligenz, dass wir mit unseren Fähigkeiten die Welt grundlegend verändern können und den perfekten Menschen schaffen. Homo Deus – in dieser Initiative ist der Tod des Individuums schon Programm.[1]

Also aufgeben, lieber Abschied von Wünschen und Träumen und nehmen? Sich nicht verführen lassen?

Ja! Ja, wenn Menschen sagen, sie stünden für das Ideal, die Utopie ein. Dann ist es gut, wenn wir misstrauisch sind.

Und zugleich: Nein! Kein Abschied von Utopie und Träumen! Nein, weil Gott für die Utopie einsteht! Das ist an den Worten, die Jesaja übermittelt, so wunderbar: Gott sagt „Ich! Ich stehe dafür ein. „Ich mache alles neu, Himmel und Erde, die ganze Welt und die eine Stadt, Jerusalem, die eine Stadt.“ Ich – Gott hält an der Erwählung seines Volkes und seiner Stadt Jerusalem fest, denn in ihnen sollen alle Völker und Städte und Orte gesegnet sein. Das wichtigste, das entscheidende ist, dass Gott Ich sagt:

„Denn siehe, ich will fröhlich sein über Jerusalem und  mich freuen über mein Volk“ Gott schafft diese neue Wirklichkeit, nicht die Menschen in ihrer Überheblichkeit. Gottes Jubel verändert die Welt, die Erde und den Himmel. Er setzt die Maßstäbe für ein friedliches Leben aller miteinander. Diese Verheißung, diese Utopie ist zu schön, um wahr zu sein – wenn sie menschengemacht ist. Sie wird nur wahr, weil Gott „Ich“ sagt.

 

Und genau so, mit Gott als Subjekt, sind uns die Bilder von einem besseren Leben, ist uns Utopisches anvertraut – dass wir ihm Raum schaffen in dieser Welt.

Weil Gott alles neu macht, ja, sogar sich auch selbst aufschwingt, ein neuer zu werden, einer, der, so wörtlich, ins pure Entzücken kommt, deshalb, nur deshalb können auch wir diesen Drahtseilakt wagen: Gespannt zwischen der Realität und den hoffnungsfrohe, utopischen Bildern und Verheißungen seiner Worte. Es ist ein Drahtseilakt, weil wir abstürzen können. In Resignation und Lähmung auf der einen Seite oder in einen Realismus, der nur noch kurzfristig und pragmatisch – und meist auch eigennützig – denkt. Damit wir diesen Drahtseilakt wagen können, dem, was noch keinen Ort hat, Raum geben, dafür braucht es einen weiten Blick.

Es ist wie beim Balancieren, da braucht man auch einen weiten Blick, einen Blick auf einen festen Punkt weit weg von sich. Wer auf seine Füße, auf sich, auf den nächsten Schritt schaut – verliert das Gleichgewicht und stürzt ab. Dieser weite Blick, von uns weg und über uns und unsere Möglichkeiten hinaus, das ist unser Blick auf Gott und seine Gebote. Und Gott lässt sich sehen. Gott zeigt sich als ein Gegenüber, einer, der für die Utopie einsteht. Gut, wenn unsere Träume und Sehnsüchte, wenn Friede und Gerechtigkeit in Gottes Hand sind, gut, dass er selbst alles neu machen will; dem, was noch nicht ist, einen Ort und Raum geben.

Dann finden Träume und Hoffnungen einen Ort, dann und wann. Dann kommt es zu einem Frieden zwischen den Konfessionen, wie hier schon früh in Augsburg. Dann finden wir zu Friedlichkeit –wie Sie sie hier in Augsburg mit dem Hohen Friedensfest zeigen: Friedlichkeit in einer Stadt geht nur, wenn alle an einem Tisch sind, eine bunte, vielfältige Gemeinschaft, in der keiner ausgegrenzt wird – weil Gott Freude an der Vielfalt hat. Dann berühren sich Himmel und Erde.

Mit Gott und seinen Geboten als Gegenüber finden wir zu Friedlichkeit – wie die Täufer, die nach schwerer Diskussion konsequent im Maß des Menschlichen, konsequent gewaltfrei bleiben. So berühren sich Himmel und Erde.

Denn wenn Gott ‚Ich‘ sagt, ‚Ich bin da und ich mache alles neu‘, dann heißt das auch: ‚Mensch, bleibe Mensch, setze Dich nicht an meine Stelle, setze dich nicht absolut, bleibe in Relation mit mir, dann findest Du zu Deiner Menschlichkeit – und dann berühren sich Himmel und Erde.

Denn menschlich bleiben die Menschen, auch unter einem  neuen Himmel und auf einer neuen Erde, menschlich, d. h. in Grenzen lebend. So bleibt der Tod – aber ein Tod nach einem erfüllten langen Leben. So bleibt die Arbeit, allerdings nicht mehr entfremdet, vielmehr als Arbeit, die Frucht bringt und erfüllt. Und so bleiben Schuld und Vergebung, die Fehlbarkeit und Unvollkommenheit des Menschen – aber keiner wird darauf festgenagelt. Die Freude über die Vergebung macht frei und aufrecht.

So berühren sich Himmel und Erde. So lasst uns den Drahtseilakt weiter wagen, unseren Teil daran, damit das, was noch keinen Ort hat, einen Ort findet. Lasst uns den Drahtseilakt weiter wagen, denn Gott kommt. Wir können die Welt nur verändern, Er macht alles neu! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.

 

[1] Vgl. die kritische Würdigung der „Initiative 2045“ durch die Konrad-Adenauer-Stiftung unter http://www.kas.de/wf/de/33.49696/


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