24.12.2023
Predigt am Heiligen Abend 2023, Stadtkirche „St. Michael“ Jena, zu Gal 4, 4-7, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Predigt am Heiligen Abend 2023, Stadtkirche „St. Michael“ Jena, zu Gal 4, 4-7
Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Gnade sei mit euch und Friede…
Liebe Gemeinde,
erinnert ihr euch an das erste Weihnachtsfest außerhalb des Elternhauses? Meins fand auf einem Bahnhof statt. Als ganz junges Paar wollten wir alles anders machen, als bis dahin erlebt. Und so kochten wir einen riesigen Topf Essen, organisierten Tische, Stühle und Geschirr und aßen gemeinsam mit allen, die an diesem Heiligen Abend den Bahnhof aufsuchten, wie einst die Hirten den Stall von Bethlehem, Abendbrot. Wir lasen die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor und mein Liebster spielte ein bekanntes weihnachtliches Musikstück auf der Trompete. Damit, dass wenig später der Wunsch nach gemeinsamem Singen vorgebracht wurde, hatten wir nicht gerechnet. Einer nach der anderen wünschte sich ein Weihnachtslied und jeder Wunsch begann mit dem Satz: „Also bei uns zu Hause wurde …“ oder „Meine Mutter wünschte sich von uns Kindern immer unterm Christbaum das Lied…“ oder „als ich noch eine Familie hatte, gab es keine Bescherung ohne …“. Bald wurden auch noch Gedichte rezitiert. Da flossen Tränen aus Augen, die sich schon lange keine Gefühlsregung mehr erlaubten und Münder sangen und sprachen, die sonst nicht ins Wort fanden.
Stunden später, die ersten verabschiedeten sich in Unterkünfte oder auf die Straße, hatten sich einander Fremde vor allem eins erzählt: was sie an Weihnachtsbräuchen, an Liedern, Geschichten und Festschmuck, Geschmäckern und Gerüchen ihr Eigen nannten, was sie mit ihrer Kinderweihnacht geerbt hatten. Und so kam es, dass wir schon auf dem Heimweg durch die mitternächtlich-stille Stadt in unsere Studentenbude begannen, voreinander unser Weihnachtserbe auszubreiten. Wir entdeckten und staunten, was da Wunderbares und Wunderliches vorhanden war …
Das Weihnachtserbe.
Bei Paulus - ein Stück aus seinem Brief an die Gemeinde in Galatien ist heute Predigttext - klingt das Weihnachtserbe so:
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid … ruft: Abba, lieber Vater!
… wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Liebe Erbengemeinschaft, am Heiligen Abend, zu Beginn der Weihnacht, erbt ihr die große Menschheitserzählung, nach der seit Jahrhunderten die Jahre gezählt werden. Ihr erbt die einzige Zeitenwende, die diese Bezeichnung wirklich verdient: die Geburt Jesu in die Welt hinein. Mit der Verkündigung des Engels an die Hirten „Euch ist heute der Heiland geboren“, wurden die Uhren für die gesamte Kreatur auf „Neuanfang“ gestellt und die Zeit eilt seitdem ihrem Ziel entgegen, die Zeit läuft nicht gegen sondern für euch. Denn ihr erbt Gottes Wohlwollen. ER hat euch in seine Hände gezeichnet, an sein Herz gelassen. Das nennt man Liebe. Große Liebe.
„Als aber die Zeit erfüllt war…, sandte Gott seinen Sohn“
Gottes Sohn in der Welt. Kein Tod kann ihn vernichten, auferstanden zeigte er sich Menschen, die die Begegnung mit ihm in die ganze Welt hinaustragen. Seitdem zum ersten Mal Weihnachten wurde, handelt Jesus, „geboren von einer Frau“, in unserer Zeit. Veränderte die Wirklichkeit, für uns und mit uns. Das zu sehen und wahrhaben zu wollen, erfordert nicht erst im Jahr 2023 nach Christi Geburt sehr viel gläubige Zuversicht… Das Jahr hängt im Raum, steckt uns in den Knochen und lungert auf den Seelen. Und genau deshalb, weil uns sofort und gleich alles einfällt, was uns die Sicht auf dieses Weihnachtserbe versperrt, müssen wir uns dieses Kind näher ansehen. Ihm eine Chance geben mitten in den Dunkelheiten unseres Lebens. Müssen uns aufmachen, wie damals die Hirten, die die Worte richtig verstanden und losgingen. Sie brachen auf aus ihren Gewohnheiten und liefen, um den zu begrüßen, der die Verhältnisse ein für alle Mal veränderte. Zu sehen, der am Anfang und am Ende aller Zeit, allen Lebens und der Welt stehen wird. Der dafür einsteht, dass wir nicht im Katastrophenchaos untergehen, sondern erwartet werden. Von ihm…
(Weg an die Krippe, an der Krippe stehend:) Hier sind wir, Jesus, Gottessohn. Wie oft haben wir deinen Geburtstag als einen gefeiert, der nur die Kinder etwas angeht. Haben uns hinter ihnen versteckt. Hinter vor Sehnsucht glänzenden Augen, die sich in Christbaumkugeln spiegeln. Hinter Bergen von Geschenken, überfließender Beleuchtung und gehaltvollen Speisefolgen. Sicher, den Kindern gehört Weihnachten zuerst. Das ist unbenommen. Schließlich hast du sie und ihr Vertrauen in dich seliggesprochen. Und nicht umsonst bist du ja selbst als Kind, wehrlos, zart und ganz und gar angewiesen auf die, die für dich sorgten, zur Welt gekommen. Aber: Weihnachten geht uns alle an. Es ist mehr als das Fest der Kinder, es ist das Fest der Gotteskinder. Wir erben die Geschichte deiner Geburt, und die Geschichten deines Lebens, Jesus. Wir erben sie als einen Schatz, der uns immer wieder in anderen Worten daran erinnert, dass wir weder dem Schicksal noch den Umständen ausgeliefert sind.
Vielmehr macht uns deine Geburt frei. Macht uns zu freien, mündigen, erwachsenen Kindern Gottes. Zu „Erben durch Gott“, wie Paulus es schreibt. Dieses Erbe wird allen zuteil. Es stellt Gleichheit und Augenhöhe zwischen Menschen her. Heute nennt man das „unveräußerliche Menschenwürde“ und klingt nach einer Leistung der Neuzeit. Zu finden aber ist sie bereits an deiner Krippe. Es ist ein Erbe, das den Auftrag in sich trägt, es nicht für uns selbst zu behalten, sondern mit anderen zu teilen.
„Weil ihr nun Kinder seid … ruft: Abba, lieber Vater!“ Was Paulus hier als Anrede Gottes vorstellt, kennen wir von dir, Jesus. Auch du hast deinen Vater so genannt, so nach ihm gerufen, sogar geschrien, als dir die Welt ans Leben wollte.
„Abba“, das ist die Anrede des Vaters von seinen erwachsenen Kindern. Ist eine Mischung aus respektvoller, ehrerbietiger Ansprache und vertrauensseliger Hinwendung zu Gott, dem Vater, der für alle Rat und Tat bereithält. Hinwenden an ihn aber, muss ich mich schon selbst. Auch das ist ein Zeichen von erwachsenem, mündigem Kindsein.
„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid … ruft: Abba, lieber Vater!
… wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.“
Heute haben wir geerbt, liebe Gemeinde. Ein Erbe, das sich nicht verbraucht, im Gegenteil, dessen Einsatz und großherziges Ausgeben es nur noch reicher macht. Ein Erbe, dass anders als bei Erbsachen dieser Welt, nicht den Tod jemandes voraussetzt, sondern dessen Geburt. Ein Erbe zum Leben. Ausgereicht mit warmer Hand, mit heißem, liebendem Herzen.
Ihr Lieben, jetzt komme ich an, bei meinem Erbe. Bei dem des erwachsenen Gotteskindes, dass das Weihnachtserbe seiner Kindheit tief in sich trägt. Und mit diesem Kind stehe ich an der Krippe und bete die alten, neuen Worte:
Ach mache du mich Armen, zu dieser heilgen Zeit aus Güte und Erbarmen, Herr Jesu, selbst bereit. Zieh in mein Herz hinein vom Stall und von der Krippen, so werden Herz und Lippen dir allzeit dankbar sein. Amen
Predigtlied: „Ich steh an deiner Krippen hier“