12.02.2023
Predigt Karfreitag, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Predigt zu Hos 5, 15b – 6,6
Gott spricht: “…wenn’s ihnen übel ergeht, so werden sie mich suchen. Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. 2Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tage aufrichten, dass wir vor ihm leben. 3Lasst uns darauf achthaben und danach trachten, den Herrn zu erkennen; so gewiss wie die schöne Morgenröte bricht er hervor und kommt über uns wie der Regen, wie Spätregen, der das Land feuchtet.«4Was soll ich dir tun, Ephraim? Was soll ich dir tun, Juda? Ist doch eure Liebe wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der frühmorgens vergeht! 5Darum schlug ich drein durch die Propheten und tötete sie durch die Worte meines Mundes, dass mein Recht wie das Licht hervorkomme. 6Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“

Liebe Gemeinde,
„Das wird schon wieder!“ – Nein, längst nicht immer „wird es wieder“: Menschen sterben, Vater, Mutter, Mann, Frau stirbt, Freunde, ein Kind. Da wird nichts mehr. Jedenfalls nicht so, wie es einmal war.

Wenn man könnte, würde man den Tod abhalten von seinem Zugriff. Als Kind lernt man ja: wenn ich brav bin, werde ich belohnt: wer fleißig lernt, bekommt eine gute Note; wer den Teller leer ist, bekommt Nachtisch; wer lieb zur kleinen Schwester ist, wird gelobt. Und wenn man traurig ist, oder sich die Knie aufgeschlagen hat, dann hört man: „Das wird schon wieder! Bis du heiratest, ist alles wieder gut!“ Aber es wird nicht immer wieder gut. Da helfen keine Opfer, keine Verhandlungen mit Gott oder dem Schicksal. Gegen den Tod sind wir machtlos.

Das Bild, welches sie als Foto vorliegen haben, ist ein Ausschnitt eines großen Bildes und stammt von ca. 1465 vom italienischen Maler Sandro Botticelli (1440-1510). Seine direkten Nachfolger als Meistermaler in Florenz waren da Vinci (1452-1519), Michelangelo (1475-1564) und Raffael (1483-1520). Über sie wissen wir viel, über Botticelli wenig und vieler seiner Bilder geben uns bis heute Rätsel auf.

Der junge Mann auf dem Bild ist tot. Sein Kopf wird gehalten von den Armen einer Frau. Ein hauchzarter Schleier legt sich wie schwebend um die beiden Gesichter. Tränen fließen über das Gesicht der Frau. Sie trägt langes dunkles Haar, welches sich um ihr Gesicht legt. Auch der junge Mann hat dunkles, kräftiges Haar. Zeichen von Jugendlichkeit und Kraft und Zukunft.

Die Frau kann es kaum begreifen, dass dieser junge Mann die Augen nie wieder öffnen wird. Sie hält die Augen geschlossen. Sie spürt der Wärme seines Körpers nach. Noch ist der Tod einen Moment ausgesperrt. Alles in ihr ist still, totenstill. Die Zeit steht still auf diesem Bild.

Der junge Mann auf dem Bild ist Jesus von Nazareth. Es ist der Moment, in dem der tote Jesus vom Kreuz genommen wird. „Beweinung Christi“ heißt das Bild. In der Bibel wird erzählt, dass sich Josef von Arimathäa um die Bestattung kümmerte. Mit dabei sind Frauen aus Galiläa, Jüngerinnen Jesu. Sie schauen zu, wie sein Leib ins Grab gelegt wird. Sie spüren: gegen den Tod sind sie machtlos. Machen können sie nichts – außer für ein würdiges Begräbnis sorgen. Abschied nehmen am Grab. Gegen den Tod sind wir machtlos. Machen können wir nichts – außer den Schmerz zu spüren, den Tränen freien Lauf zu geben.  

Karfreitag ist ein Trauertag. Kar/Kara ist althochdeutsch und bedeutet Trauer, Klage, Kargheit, Kummer.  Es ist in Ordnung, heute zu weinen: über den Tod Jesu am Kreuz, über den Tod derer, die wir geliebt haben und die uns geliebt haben; über den furchtbaren Unfalltod, der gerade durch die Medien geht: sieben Familien werden Ostern als Trauertag erleben und nicht als Fest des Lebens. Was für ein Schmerz wird dort in den Häusern sein, unvorstellbar! Ja, gemeinsam zu weinen tut gut. Mit anderen und über andere. Wenn ich das Bild ansehe, denke ich auch an die vielen Mütter und Väter, Frauen und Männer und Kinder, die sich über die Toten der Kriege beugen. Und an jene, denen nicht einmal ein Abschied vergönnt ist, weil ihre Lieben vermisst, nicht auffindbar, unter unklaren Umständen verschwunden sind.

Am Karfreitag solidarisiert sich Jesus mit allen, die Leid tragen. Sein Leiden an der Welt führt ihn in den Tod, „…hinabgestiegen in das Reich des Todes“… mehr können wir heute noch nicht sagen. Aber glauben:  Ja, gegen den Tod sind wir machtlos, aber wir gehören zu dem HERRN, der ihn bereits überwunden hat. Für uns.

Gott spricht: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer“. Ein Opfer zu bringen, das ist der Versuch, mit Gott zu verhandeln, ein Tauschhandel. Der Versuch, sich Gottes Liebe zu kaufen. Doch Liebe kann man nicht kaufen, nicht bei Menschen und nicht bei Gott. Liebe wird geschenkt.

Am Karfreitag wird Gottes Liebe ans Kreuz geschlagen: machtlose Liebe, die leidet und erträgt; Liebe bis zum letzten Atemzug. Gegen die Liebe sind wir machtlos. Gott spricht: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer“. Gegen diese Liebe Gottes sind wir Gott sei Dank auch ebenso machtlos wie gegen den Tod.

Trauer ist eine Form von Liebe. Die junge Frau auf dem Bild weint. Es sind Tränen der Liebe. Das zeigt mir die innige Haltung, die zärtliche Geste, mit der sie Jesus umarmt. Sie kann ihm nichts mehr schenken, sie kann ihn nicht lebendig machen. Sie ist machtlos gegen den Tod und sie ist machtlos gegen diese Liebe, die sich so verschenkt.
So ist das mit Gott – wir können ihm nichts bieten außer unsere Tränen und das Vertrauen, dass wir nicht aus seiner Liebe fallen: „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tage aufrichten, auf dass wir vor ihm leben werden.“

Karfreitag trauern wir aus Liebe um die Liebe. Für einen Moment steht die Zeit still. Zeit für ungeweinte Tränen. Wir tragen sie zum Kreuz: „Komm, Jesus, komm, nimm hin. Wir breiten unsere Herzen unter deinem Kreuz aus und bitten um deine Liebe.“

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn, Amen.


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