12.02.2023
Predigt vom 12.02.2023, Augustinerkloster Erfurt, zu Jesaja 55, 6-12a in Verbindung zum Wochenspruch Hebr 3,15, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

36 Tage nach Epiphanias und 60 Tage vor Ostern, 16 Tage nach dem Gedenken an die Opfer des Holocaust und 54 Tage vor dem Seder-Abend des Pessachfestes, für uns Christen das Abendmahl am Gründonnerstag: In diesem großen Rahmen steht der Sonntag Sexagemsimä. Er stellt das Wort Gottes ins Blickfeld, macht es hörbar, fühlbar, duftend und voller Geschmack. Tröstliche Verheißung, dass Gott wirklich hört, dass sein Wort etwas bewirkt und zum Guten wendet, sollen wir hören – und wie wir das jetzt brauchen! – in Zeiten, in denen scheinbar nichts mehr gilt. Das ist doch unsere Hoffnung: mit all dem, was das Leben fragwürdig macht, gehört zu werden. Die Flut erschreckender Worte – teilweise geradezu taumelnd vor neuer Waffen- und Kampfesbegeisterung – „die Leoparden sind freigelassen“ twitterte eine mir wichtige Politikerin – diese Flut der Worte also anhalten zugunsten des einen Wortes, das wie ein erfrischender Regen fällt, den Samen in der Erde weckt und das erste Grün sprießen lässt. Aufstehen, sich strecken, durchatmen und warten auf das Wort, das uns trägt:

Jesaja ruft: 6 Suchet den HERRN, da er zu finden ist; ruft ihn an, da er nahe ist. 7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

„Suchet den HERRN, da er zu finden ist; ruft ihn an, da er nahe ist.“ Der Blick in den hebräischen Urtext lässt mich hier anders formulieren als Luther (der übersetzte „solange er zu finden ist…solange er nahe ist“). Die Betonung des Satzes liegt darauf, dass Gott anwesend ist und von den Suchenden gefunden und von den Rufenden erreicht werden kann.

Ist Gott immer anwesend, immer erreichbar? War er zu erreichen, als die Erdbeben dieser Woche tausenden Menschen in der türkisch-syrischen Grenzregion den Tod und zigtausenden Armut, Kälte und Angst brachten? War er zu erreichen, als Soldaten die Grenzen eines fremden Landes überschritten und Hunderttausende fliehen mussten? Dass diese Frage immer wieder vor allem von jüdischen Theologen diskutiert wird, ist nach der Schoa nicht anders erwartbar. Hat er sich finden lassen, als die Züge nach Auschwitz, Treblinka und Riga fuhren, die Ofenbauer aus Erfurt ihre todbringende Technik lieferten und in Weimar die Häftlinge auf den Ettersberg getrieben wurden? Auch Martin Buber dachte darüber nach. Ja, sagt er, es gibt ein Sich-Verbergen Gottes, eine Zeit der „Gottesfinsternis“. Aber diese ist minimal kurz im Vergleich zu der Zeit, da Gott sich finden lässt und dem Rufenden nahe ist. Buber sagt „Gott lässt die Tore des Gebets offenstehen und wünscht, dass der Mensch ihn suche und anrufe.“

Der Gottlose verlasse die Wege seiner falschen Lebensführung und der Übeltäter lasse ab von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Gottes Zusage an uns, seine Liebe, hat immer Folgen. Gott ist der große Zurecht-Bringer. Was hier formuliert wird, beschreibt sehr anschaulich eine Kehrtwende. Dreh dich um, ändere die Richtung, richte dich neu aus, tritt mal einen Schritt zurück, geh einen neuen Weg… Dabei werden wir vom beauftragten Jesaja darauf hingewiesen, dass wir Gott so oft nicht folgen, ihn nicht sehen, sein Angesicht nicht suchen, etc. Aber Gott hört nicht auf, dich zu rufen. Mit deinem Namen ruft er dich. Ruft dich auf zum Leben, ruft dich auch dazu, deinen vollmundigen Absichtserklärungen endlich Taten folgen zu lassen.

Unser Wochenspruch zum Prophetenwort. Es trägt den Jesaja Israels in alle Welt. „Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“
Verstockte Herzen. Da fallen mir viele ein. Scheint ein weltweites Phänomen zu sein. Und ich nehme mich nicht aus, Gott allein weiß, wie oft ich schon verstockt war gegenüber seinem Auftrag, seinem Wort an mich. Das dritte Kapitel des Hebräerbriefes, aus dem der Wochenspruch stammt, nimmt Gottes Erfahrung mit uns auf: Generation um Generation, wieder und wieder folgen wir eilfertig den Stimmen, die uns einreden, das Wort Gottes könne doch nicht so gemeint sein. Nicht so radikal. Nicht so ausnahmslos. Man müsse doch Kompromisse machen. Und schließlich werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird... Wie die alte Schlange im Paradiesgarten den ersten Menschen ihr „sollte Gott gesagt haben?“ ins Ohr flüsterte, so sind wir auch heute vollgestopft mit eingeflüsterten Zeitdeutungen. „Sollte Gott denn wirklich gesagt haben, dass er Krieg verabscheut? Sollte Gott ernsthaft gewollt haben, dass ihr Gerechtigkeit und Friede niemals mit Abschreckung und Sicherheit verwechselt?  Sollte Jesus etwa ernst gemeint haben, Böses nicht mit Bösem zu vergelten und für den Feind zu beten?“ „Doch ganz sicher nicht“, säuseln die falschen Zungen unserer Tage. „Die Situation ist doch eine ganz andere und wie naiv könnt ihr denn sein, dass ihr die Zeitenwende nicht erkennt und nicht wahrhaben wollt, dass ab jetzt Stärke wieder was gilt!, ach was, Stärke das Ein und Alles ist!“

So eingelullt erreicht uns Gottes Wort immer seltener und unsere Herzen verstocken.
Aus Liebe aber gibt Gott nicht auf. Kein Herz ist ihm zu fern, keines zu verschlossen. Gottes wirbt um uns mit allen Mitteln leidenschaftlicher Liebe.

Beinahe gleichnishaft lese ich von solcher Liebe in einem bekannten Märchen. Ich finde, es ist eines der schönsten Wintermärchen, geschrieben von Hans Christian Andersen: Das Geschwisterpaar Gerda und Kai, die bei ihrer liebevollen Großmutter aufwachsen, wird von der Herrscherin über Eis und Schnee aufgesucht. Diese hat es auf Kai abgesehen. In ihrem Reich der Kälte gibt es kein Kind, kein menschlich-warmes Gegenüber. Kai kann anfangs noch der Königin widerstehen. Auch wenn diese ihm die vielen Vorteile von Macht und Reichtum ausmalt, auch wenn er sich durch ihre Schönheit und Majestät angezogen fühlt - er hört auf das liebende Herz und die Stimme seiner Schwester und sagt „Nein!“. Die eisige Hoheit aber gibt nicht auf. Nur einen Kuss will sie ihm geben, dann wird sein Herz kalt wie Eis, verstockt bis ins Innerste sein und nichts mehr kann ihm etwas anhaben. Irgendwann erreicht das Werben der Schneekönigin sein Ziel: Ihr Kuss dringt tief in Kais Bewusstsein und sein Herz wird unantastbar für alles, was lebt. Erst die selbstlose Liebe seiner Schwester vermag ihn im Reich der Schneekönigin zu finden und sein Herz aufzutauen. Mit der Überwindung der Herzenshärte führt Gerda ihren Bruder zurück ins Leben.

Jesaja richtet uns heute Gottes Liebeswort aus. Und wie ein Pfand, wie ein Siegel legt uns Gott sein Versprechen aufs Herz „Kein Wort aus meinem Munde wird leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Ja, HERR, dass dein Wort gilt, dass deine Liebe letztlich für alle unwiderstehlich ist, das ist meine große Hoffnung. Amen.


Predigtlied: „Gott hat das erste Wort“, EG 199


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