31.10.2024
Stadtkirche St. Michael Jena: Predigt im Trauergottesdienst für Pfarrer i.R. Lothar König | Dr. Constance Hartung
Trauergottesdienst für Lothar König am 31.10.2024 (Reformationstag) um 14 Uhr in der Stadtkirche St. Michael Jena
„Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.“ (Offb 1,4)
Liebe Familie, liebe Trauergemeinde,
„Mensch, Lothar“ – so hat wohl mancher und manche gedacht, wenn die JG-Stadtmitte mal wieder in den Medien war. Dieses „Mensch, Lothar“ hatte dann so ganz unterschiedlichen Klang: Es bedeutete Aufregung und freundschaftliche Vertrautheit. Es bedeutete Zustimmung und Widerspruch. Es lässt aufmerken auf den Langhaarigen mit dem dröhnenden Lauti und den Mann der leiseren Töne.
Mensch Lothar – der Mensch Lothar.
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. – sagt der Psalm 8.
Was ist der Mensch Lothar? Da sind so viele Bilder, vor unseren inneren Augen - der EhePartner, der Vater, der Freund, der Prediger, Antifaschist genauso wie der Unruhestifter, Punk, Stadtverordneter und rauchender Ordnungssprenger.
Wer Lothar König kannte, wird die Vielfalt der Facetten wahrgenommen haben – manchmal wohltuend kraftvoll, manchmal auch schmerzlich kraftraubend.
Ins Leben gerufen wurde Lothar König am 11. März 1954. Er wuchs auf einem Bauernhof in Leimbach bei Nordhausen auf. Die beiden älteren Geschwister starben früh. So blieb er einziges Kind auf dem Hof.
Zur Jugend gehörten Motorrad und die Rolling Stones … tja und wohl auch die erste Zigarette. … Fußball bei Traktor Leimbach als Stürmer. Sogar ein Probetraining bei Rot-Weiß hatte er gemeistert. Lothar wurde in diesem Spiel später zum Trainer für viele junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Spielerisch Kräfte zu messen, zu lernen fair zu agieren – das gehörte bis zum Schluss zur Arbeit von Pfarrer König.
Bücher waren seine Begleiter von Jugend an – was in der DDR nicht zu bekommen war – das holte er sich auf der Buchmesse.
Das Abitur wurde ihm verwehrt – denn wer sich so deutlich kritisch äußerte, den Namen Dubček öffentlich machte, der war gefährlich. Hausdurchsuchung. … auch das fand später seine Wiederholung …
„Keine Grenzen im Kopf, nicht mal den Horizont“ – die Liedzeile, die eben erklang, passt!
Denn Anpassen konnte er sich nicht. Er war so wie er war und das hat er zugemutet. Gut so.
Die Lehre als Zerspanungsmechaniker beim Ifa-Motorenwerk, das war es nicht – stattdessen Eisenach, wo er die Diakonenausbildung begann. Dort trafen sich 1975 Eure Wege, Eva-Maria, – du gerade in kirchlicher Ausbildung und dieser Typ aus der Langhaartruppe vom Falk-Heim. Die nächste Station habt ihr gemeinsam angesteuert – Erfurt. Hier begann Lothar mit dem Theologiestudium, das er in Jena fortsetzte.
In der Erfurter „Offenen Jugendarbeit“, wo Menschen eine Heimat hatten, die in der DDR ausgegrenzt und nicht zum bürgerlichen Christentum gehörten, fühlte sich Lothar König am richtigen Platz.
Aber da war doch so viel mehr: Alexander, Katharina, Tilman und Karl-Friedrich – ihr wurdet in dieser Zeit geboren. Eine gute gemeinsame Zeit – so hast Du es beschrieben, liebe Eva-Maria. Hier fanden sich treue Freunde und Freundinnen.
So manche Tasse, manche Flasche und mancher Aschenbecher fand auf dem Küchentisch Eurer kleinen Wohnung Platz. Die Türen standen offen für sehr gemischtes Publikum.
Das sollte so bleiben – ein Leben lang. Ab 1986 in Merseburg in der Entsendungspfarrstelle: Gründung einer Jungen Gemeinde, Friedensandachten und -demos, Neues Forum und immer wieder Widerstand gegen das, was Menschen die Freiheit verbaute und das eigenständige Denken verhinderte.
Aber das war eben auch herausfordernd – brauchte die Kraft der ganzen Familie. Der Abschied von Merseburg fiel eben auch nicht leicht.
»Warum habt ihr solche Angst? Ihr habt zu wenig Vertrauen!«
Von Worten wie diesen aus der Bibel ließ sich Lothar König anstacheln. „Was würde der Herr Jesus dazu sagen“ – fragte er.
Da war er ganz Prediger – erzählend von dem, der den Sturm stillte. „Ey Leute, Mal zuhören – mal Worte wirken lassen“
Er schöpfte seine Kraft aus der Bibel. Forderte heraus und warb dafür, Sympathisanten und Sympathisantinnen des Reiches Gottes zu werden. Die Bibel war für ihn Erfahrungsschatz von vielen 1000 Jahren.
… und das Evangelium klar politisch – und musste als solches erkennbar sein.
Damit das wirkte, trat er zuweilen autoritär diktatorisch – unbeirrbar auf und konnte einen eiskalt in Regen stehen lassen.
„Ey Leute, einfach mal Schnauze halten.“
Er war ein Mahner und Streiter - Hier in Jena ab 1990 in der JG-Stadtmitte warnte er frühzeitig vor der rechtsextremen Szene, aus der die Terrorgruppe des NSU hervorging.
Vernarbt war diese Warnung über seinem rechten Auge.
In seinen fast 30 Jahren verstand Lothar die JG als einen lebendigen Ort, einen Probierort - nicht nur für Punks - mitten in der Gesellschaft, um anzuecken, aber eben auch, um Grenzen zu erkennen. Denn, ich zitiere: „Was wäre das Leben, wenn es kein Scheitern gäbe. Richtig auf die Schnauze fallen.“
Für viele war die JG deshalb auch der Ort, um aufgefangen zu werden, um (Kirchen)Asyl zu finden.
Die Reisen zu Freunden und Freundinnen in Beit Jala - mitten in der Westbank, die Polenrüste – die jährliche Werkstatt – nicht zuletzt das Fußballspielen gehörten genauso dazu wie die Präsenz auf den Demonstrationen.
Lothar als Stimme und Kämpfer gegen den Rechtsextremismus wird fehlen.
Gerade das Widerständige, das, was so manche Nerven gespannt hat, gehört in eine lebendige Demokratie.
Umso schmerzhafter waren die Jahre, als Anklage wegen schweren Landfriedensbruches gegen ihn erhoben wurde. Wie viel Kraft hat es ihn gekostet? Da fehlte manchmal fast der Mut zum Durchhalten. Doch gerade in der Zeit fand er sich von einer solidarischen Gemeinschaft getragen. Die Jahre 2011 bis 2014 brachten ein breites Bündnis von Menschen hervor, denen es gelang, die Anklage zu entkräften. Viele der Menschen, die ihn damals begleitet haben, sind heute da.
Und wie viel habt Ihr als Familie mitgetragen …
Lothar war eben nicht einfach Familienvater. Er war immer auch öffentliche Person.
Da war nicht einfach Alltag, wenn er da war – da war immer Bewegung.
Da war das Herausfordernde, wo sich mancher/manche von euch vielleicht einfach Ruhe gewünscht hätte.
Ihr habt alle Eure Wege gefunden – so ganz unterschiedliche, um mit Lothar unterwegs zu sein und, wo es nötig war, Euch auch zurückzuziehen.
Euer Vater – so eine Beschreibung – war ein Möglichmacher, doch in der Spontanität lag eben auch viel Anstrengendes.
Ihr habt als Familie so vieles möglich gemacht – und das wurde noch einmal mehr deutlich, in den letzten Monaten.
Wie liebevoll Ihr für Lothar da wart:
Bis zu seiner letzten Stunde habt Ihr für ihn gesorgt, ihm das gereicht, was ihm wichtig war.
Am Krankenbett und im Umgang mit eurer Trauer habt Ihr Liebe gezeigt.
Danke!
Am 21. Oktober hat Lothar König diese Welt verlassen.
Was ist der Mensch? – nicht nur eine Fülle von Erinnerungen.
In Psalm 8 staunt der Psalmbeter, dass Gott den Menschen „wenig niedriger“ gemacht hat „als Gott“ (Ps 8,6). Der Mensch ist also einerseits eines von unendlich vielen Geschöpfen. Von allem Geschaffenen steht er aber andererseits Gott am nächsten. Bild Gottes zu sein, ist vor allem eine Aussage über die Aufgabe des Menschen: Er soll nach Gottes Willen fragen und soweit es in seiner Kraft steht, für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt sorgen.
Wir sind als Menschen aneinander gewiesen – müssen einander nicht im Aktionismus überhöhen, aber uns auch nicht kleinmachen.
Wir brauchen Menschen, die widerständig sind – ja und wir müssen uns an ihnen abarbeiten. Genauso wie es die anderen braucht – die, die eher zurückhaltender und stiller agieren. Und es ist gut, wenn von allem ein bisschen in uns schlummert.
Ein Mensch begegnet dem anderen Menschen, so wie er ist. Mit Fehlern, Kanten und Ecken. Sich einlassen und miteinander ein Stück Weg gehen. Den anderen Menschen, und sei er noch so schwierig, in seinem Menschsein aufsuchen.
Im Täglichen wäre das doch schon eine schöne Übung.
Also … warum so kleingläubig -
Warum haben wir dann solche Angst, es zu tun?
Jesus fragt seine Jünger und erweist sich für sie als der, der den Sturm stillen kann.
»Warum habt ihr solche Angst? Ihr habt zu wenig Vertrauen!«
Das braucht es nämlich – Vertrauen, Gottvertrauen.
Vertrauen darauf, dass nicht jeder und jede alles allein schaffen muss. Es gibt eine Hilfe, die jenseits jeglicher menschlichen Geschäftigkeit wirkt. Diese Hilfe kommt zu unserem Handeln dazu.
Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Willen hat ewigen Grund.
Ich sehe heute viele Menschen, die so manches mit Lothar König verhandelten; die mit ihm Wege gehen mussten, die nicht immer konfliktfrei waren: Menschen, die für ihn ein kritisches und wahrhaftes Gegenüber waren. Menschen, die mit ihm in der Johannisstraße arbeiteten – oft bis zur Erschöpfung.
Menschen, die mit dem Lauti (Tatwerkzeug) und Transparenten demonstrierend oder in Kirchgemeinde und Gesellschaft die Hoffnung auf eine bessere Welt noch nicht aufgegeben haben.
Eine bunte Mischung aus Gottes Garten – wie sie sonst nur selten länger beieinander ist.
Mensch Lothar, das ist doch ein schönes Bild von Gemeinde – Kirche. Ruhig streitbar und streitend soll sie sein, aber in einem diakonischen Miteinander.
Da kann dann deine Kaffeetasse stehen, ruhig auch ein Wein, und – na gut, auch Deine Zigarette - die Kerze angezündet
etwas Sinnlichkeit.
In Hintergrund singt Rio Reiser:
Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen
Die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh'n
Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
Und die längst verlor'n Geglaubten
Werden von den Toten aufersteh'n (Rio Reiser)
Also, fragt uns Jesus: Warum habt ihr solche Angst?
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.“ (Philipper 4,7)