20.10.2024
Georgenkirche Eisenach: Predigt zu Mt 5,38-48 | Goldene Ordination 2024, 20.10.2024, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Georgenkirche Eisenach: Predigt zu Mt 5,38-48 | Goldene Ordination 2024 21. Sonntag nach Trinitatis | 20.10.2024, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler

Gnade sei mit Euch…

Liebe Gemeinde aus Schwestern und Brüder,

heute sitzt Ihr, liebe goldene und diamantene Ordinandinnen und Ordinanden unter der Kanzel in Eisenach und am Radio. Manche von Euch sind in dieser Stadt hier ordiniert worden, andere in den Gemeinden, in welchen dann der Dienst begann.

Vieles hat sich verändert in den Jahrzehnten, überall und natürlich auch in unserer Kirche. Strukturen, Gesetze und Bestimmungen kamen und gingen und was habt Ihr nicht alles an Prozessen erlebt – selbst mitverantwortet und aufs Gleis gebracht, umgesetzt oder auch nur mehr oder weniger ausgehalten. 

Genau vor 50 Jahre wurde in katholischen Gemeinden ein Hirtenbrief von den Kanzeln verlesen. Die ostdeutschen Bischöfe erhoben Einspruch gegen die übergriffige Einmischung des Staates in die Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Der Staat erschwerte die Arbeit der Kirchen in ihrer Arbeit mit der jungen Generation. Wie gelang es Euch unter diesen Bedingungen, Kinder und Jugendliche, Familien mit der biblischen Botschaft so zu verbinden, dass diese für das tägliche Leben Relevanz hatte?

Und im gleichen Atemzug denke ich: Ist das nicht auch die von heute? Sicher, unter anderem Vorzeichen. Erst vor wenigen Tagen haben wir mit den Verkündigungsmitarbeitenden in einem Kirchenkreis darüber nachgedacht, welche Zugänge und Formen es heute braucht, damit Eltern ihre Kinder zur Taufe bringen. Wann und wie sie vielleicht bereit sind, diese mit der Gemeinde bekannt zu machen. Und dabei stehen uns heute ungleich mehr Möglichkeiten zur Verfügung. 

Gleichgeblieben über die Zeiten aber sind, ob damals oder heute: Zuspruch und Anspruch des Evangeliums zur Geltung zu bringen.

Hört Jesu Worte, aufgeschrieben bei Matthäus im 5. Kapitel:

38     Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

39     Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen,
sondern:

Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

40     Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.

41     Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei.

42     Gib dem, der dich bittet,
und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.

43     Ihr habt gehört, dass gesagt ist:  Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen.

44     Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen,

45     auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.

Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute
und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46     Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben?

Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?
47     Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?

Tun nicht dasselbe auch die Heiden?
48     Darum sollt ihr vollkommen sein,
wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.


Die Pädagogik Jesu lässt in Sachen Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. „Ihr habt gehört … ich aber sage euch:“

„Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt“, „wenn jemand dich für eine Meile Weg verpflichtet“, „wenn einer deinen Rock will“

…“halte die andere Backe hin“, „laufe mindestens zwei Meilen“, „gib auch deinen Mantel“… „liebe deinen Feind und bete für deine Verfolger“…

Der Anspruch ist klar. Jesus lehrt das, was die Rabbiner seiner Zeit auch gelehrt haben, und ein Darüber hinaus. Jesus weitet die Lebensworte der Torah und bringt sie so dicht an uns heran, dass einem der Atem stockt. Jesu „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm die andere auch noch hin“ und „nimmt dir einer den Rock, überlass ihm auch den Mantel“ lassen keinen Spielraum. Jesu Anweisungen sind so konkret und direkt, dass ich unwillkürlich zurückzucke.

Natürlich weiß Jesus, dass eine öffentlich verteilte Backpfeife eine entehrende Geste ist. Wie gedemütigt fühlt sich der so Geschlagene. Und wenn er aus seiner Starre erwacht und Zorn in ihm hochkocht, dann sieht er vielleicht die Umstehenden, die nur darauf lauern, wie er sich verteidigen wird. Aber Jesus fordert nicht nur den Verzicht auf Gegenwehr, sondern auch auf die Wiederherstellung der eigenen Ehre.

Und mit dem Weggeben des Mantels nach Verlust des Rocks ist der Verzicht auf juristische Mittel gemeint, damit auf die Spitze getrieben, dass auch das schützende Manteltuch weggegeben werden soll.

Wie mögt ihr diesen Text anderen und euch selbst gepredigt haben, liebe Jubelordinanden? Und Ihr, liebe Gemeinde, wie habt ihr die Auslegung dazu im Ohr: im Brustton überzeugter Appelle oder mit solidarischen Fragezeichen versehen? Und, gelang und gelingt es Euch, nach diesen Geboten zu leben und zu arbeiten?

Jesus weiß um die entlastende Wirkung einer Mordswut auf den, der einem böses will. Und gleichzeitig fordert er uns auf, keine Verwünschungen auszusprechen; ein „Schande auf dein Haupt“ nicht einmal zu denken, geschweige denn hinterherzubrüllen. Jesus fordert sogar Liebe gegen Verfolger und will, dass wir betend Segen über böse Leute bringen.

Hat diese Forderung Euch umgetrieben, wenn ihr für euch selbst oder für eure Ehepartner oder Kinder, auf Rachegedanken und Vergeltung verzichtet habt und eure Verfolger zu lieben suchtet? Wer ist dabei unters Rad gekommen, wenn Predigende und Predigthörende diesem Gebot gefolgt sind?

Ihr Lieben, den Anspruch des Evangeliums habe ich gehört. Und gestehe: Ich scheitere. Täglich. Sicher, ich bemühe mich. Aber von Genügen kann keine Rede sein.

Um es mit Luthers Worten zu sagen: „Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen. Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi Willen dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe, so ist’s aus mit mir.…

Deshalb häng ich mich an Christi Hals oder Fuß … Dann spricht er zum Vater: „Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle Deine Gebote übertreten, Vater, aber er hängt sich an mich. Was will’s! Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlupfen. Das soll mein Glaube sein.“

Mit dieser Einsicht in mein Unvermögen lese ich die Rede Jesu noch einmal, will nicht aufhören, nach dem Zuspruch in seinem Wort zu suchen.

Und so nähere ich mich dem Text nun vom Ende her. Manchmal, das wissen wir, muss man Geschichte und Geschichten vom Ende her lesen. Müssen auch Lebensworte vom Ende her aufgerollt werden.

Matthäus schreibt: Jesus sprach: „Ihr sollt vollkommen sein, WIE EUER HIMMLISCHER VATER VOLLKOMMEN IST“. Und „auf dass ihr KINDER SEID EURES VATERS IM HIMMEL“.

Ich erkenne: Es geht zunächst gar nicht um mich. Es geht um Gott! Jesus stellt mit seiner Rede Gott, den Vater vor.

Den Jüngern wird nun zugesprochen, dass sie Kinder Gottes sind. Punkt. Aus diesem Grund, aus dieser Zuschreibung sollen sie von heute an anders leben. Sie sollen ihre Gotteskindschaft dazu gebrauchen, erkennbar zu sein als jene, die von Gott wissen. Sie sollen der Kraft vertrauen, die ihnen daraus erweckt, so eng wie ein Kind zu liebenden Eltern, zu Gott zu gehören. Sie können daraus die Möglichkeit schöpfen, anders zu handeln, als von ihnen erwartet wird.

Aus dem Zuspruch „Du bist ein Kind Gottes!“ zu handeln wie ein Kind Gottes: den Fernen wie den Nächsten lieben; einander das Beste wünschen; Verzeihen, ohne mitzuzählen, wie oft; sich für Gerechtigkeit und Teilhabe anderer einsetzen, Hass und Hetze das Herz entgegenstellen, ja selbst, den Feind nicht der eigenen Rache, sondern betend Gottes Gerechtigkeit übergeben. Denn, was wissen wir schon, wie Gott uns sieht, wenn er „seiner Sonne“ gebietet, über Gerechte und Ungerechte zu scheinen, und es über beide regnen lässt.

Jesus mutet seinen Jüngern zu, als Kinder Gottes darauf zu verzichten, die eigene Ehre durchzusetzen. Er wirbt um Großzügigkeit gegen jedermann und nimmt sie damit hinein in sein gerechtes Tun.

Jesus mutet uns zu, als Kinder Gottes darauf zu verzichten, die eigene Ehre durchzusetzen. Er wirbt um unsere Großzügigkeit gegenüber jedermann und nimmt uns damit hinein in sein gerechtes Tun.

Liebe Gemeinde, dieses Evangelium gehört in die Welt. Sagt es weiter, Alten und Jungen, Armen und Reichen. Dieses Evangelium hat die Kraft, jetzige und kommende Generationen mitzunehmen in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

So sei es – Amen.

Predigtlied: EG 412,1-4


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