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20.01.2017
Blaues Kleid

Vor kurzem stirbt meine Mutter. 89 Jahre alt ist sie geworden. Ein langes Leben. Mein Bruder und ich sind vorbereitet. Seit dem Tod unseres Vaters vor Jahren hat unsere Mutter nicht mehr richtig ins Leben zurück gefunden. Nach mehr als 60 Jahren Ehe waren unsere Eltern sehr miteinander verbunden.
Zunächst unmerklich und dann immer deutlicher verliert unsere Mutter den Kontakt zur Realität. Altersdemenz diagnostiziert der Hausarzt. Mein Bruder und ich sind schockiert und traurig, als sie eins Tages unseren Vater auf einem Bild nicht mehr erkennt. Für uns Söhne ist es ein langer Abschied in vielen Schritten. Und doch trifft es uns, als wir am Sarg stehen, die letzten Schritte auf dieser Erde mit ihr zum Grab gehen.
Als Pfarrer und Sohn hatte ich unserer Mutter frühzeitig versprechen müssen, den Beisetzungsgottesdienst zu halten; wie bei unserem Vater. Ob unsere Mutter wirklich an die Auferstehung nach dem Tod geglaubt hat, kann ich mit letzter Sicherheit nicht sagen. Auf ihren Wunsch trägt sie im Sarg das blaue Kleid der Goldenen Hochzeit. „Damit Papa mich erkennt“, hat sie kurz nach dem Tod unseres Vaters auf einem Zettel vermerkt. Vielleicht war das ihre Vorstellung der Auferstehung. Als Christ widerspreche ich nicht und fühle den Trost dieses Gedankens.
Traurig und zugleich getröstet grüßt aus Dessau
Joachim Liebig


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