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16.09.2017
Der freie Platz

Wir wollen nett essen gehen an diesem Urlaubsabend auf Hiddensee. Heute wird es voll. Dummerweise haben wir nicht vorbestellt. Aber wir haben Glück. Als wir das Lokal betreten, ist genau noch ein Tisch frei.
Kaum sitzen wir, geht die Tür wieder auf. Ein anderes Pärchen betritt den Raum. Es schaut sich suchend um. Der Wirt schüttelt bedauernd den Kopf. Kein Tisch mehr frei. Da sagt meine Frau plötzlich. „Sie können gern bei uns Platz nehmen. Wenn das für Sie o.k. ist?“ Erst bin ich etwas verdattert. Die kennen wir doch gar nicht! Aber warum nicht? Rasch nicke ich dem fremden Paar zu.
Die beiden zögern nur kurz, dann nehmen sie bei uns Platz. Und schon bald sind wir ins Gespräch vertieft. Das Paar aus Hamburg und wir. Es geht um Urlaub und was wir so arbeiten. Die beiden erzählen von ihren Segeltörns auf der Ostsee, wir vom Radfahren auf Rügen. Wir erzählen von den Grenzern zu DDR-Zeiten und die Hamburger von einem, der mit seinem Boot über die Ostsee in die Lübecker Bucht geflüchtet war.
Spannend! Wir waren Fremde, aber haben an einem Tisch miteinander gegessen, getrunken und erzählt.
Meist bleibt ja jeder für sich allein. Da drehen wir uns in den eigenen Geschichten und schmoren im Saft vertrauter Erlebnisse. Wie oft pflegen wir unsere Vorurteile und bleiben dabei einsam am Tisch und im Herzen.
Wie schwer tun wir uns damit, einfach mal zu fragen: „Entschuldigen Sie: Die anderen Tische sind zwar alle frei, aber haben Sie trotzdem Platz an Ihrem Tisch?
Aus Polen kenne ich einen besonders schönen Brauch: Ein Platz am Tisch wird zusätzlich eingedeckt, für den Gast, der noch kommen könnte. „Vielleicht,...“ sagen die Leute dort „...vielleicht ist es ein armer Wanderer, vielleicht ist es Gott selbst.“

Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg


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