02.02.2021
Frechheit siegt
Schlangen an der Kasse sehen heute anders aus: weiter Abstand und um keinen Preis die Lücke zu klein halten.
Von rechts kommt eine ältere Dame und drängelt sich vor mir in die Schlange.
Kein Abstand, keine Lücke mehr.
Ganz selbstverständlich packt sie ihre Einkäufe auf das Kassenband.
Soll ich pampig werden oder gar nichts sagen?
Hinter mir Murren in der Reihe
Der Ton in solchen Situationen ist rauer geworden.
Ich drehe mich um, zucke die Schultern und schüttele den Kopf.
Das Murren hört auf, der Missmut bleibt.
Als sie ihre Einkäufe eingepackt hat, rücke ich nach.
„Sie haben sich vorgedrängelt“, sage ich schnell.
„Na und?“ sagt sie und geht einfach.
Auch ältere Menschen können frech sein.
Für dieses Jahr gibt es ein Motto aus der Bibel:
Seid barmherzig, wie auch Gott mit Euch barmherzig ist.
Viele Menschen denken, die Bibel tauge nicht für den Alltag.
An der Kasse im Supermarkt erweist sich das Gegenteil.
Barmherzigkeit gegenüber der Dränglerin ist lebensklug.
Vor allem dann, wenn sie außerordentlich frech kontert.
Darum muss Barmherzigkeit immer geübt werden; meistens bleibt sie unbemerkt.
Und doch hat sie Wirkung:
Ich rege mich nicht auf.
Keine Szene an der Supermarktkasse.
In der Schlange kehrt wieder Ruhe ein.
Barmherzigkeit ist ein Zeichen von Stärke.
Und kann andere anstecken – zum Guten. Wollen wir gemeinsam Stärke zeigen?
Mit dem festen Vorsatz dazu grüßt aus Dessau
Joachim Liebig