29.07.2019
Hungersteine
Ich steige die Stufen an der Elbe hinab und laufe vorsichtig über den Domfelsen, der hier zum Flußbett gehört. Die Steine sind von einer trockenen grauen Schlammschicht überzogen. Zwischen den kargen Steinen wuchern Pflanzen. Sogar eine Tomatenpflanze entdecke ich. Überall hier steht sonst eigentlich Wasser. In der Mitte, wo der Fluss nur noch schmal vor sich hindümpelt, ragt ein flacher Stein heraus. Moment mal. Da sind doch Zeichen drauf. Ich trete näher heran. Tatsächlich, der Stein trägt eine Botschaft.
Solche Steine nennt man Hungersteine. Bei extremem Niedrigwasser werden sie sichtbar. Im Elbverlauf gibt‘s einige davon. In Decin, in der Nähe von Prag, steht auf dem Hungerstein: „Wenn du mich siehst, dann weine.“
Hungersteine. Der Name ist Programm. Fische, die sich aus Senken nicht rechtzeitig zurückgezogen haben, landen auf dem Trocknen. Die Äcker werden steinhart. Die Erträge bleiben mager, wenn sie nicht sogar ganz ausfallen. Wald gerät in Brand. Flüsse sind nicht mehr schiffbar. Die Hungersteine zeigen warnend drohende Hungerzeiten an. Menschen fingen an, in ihrer Not zu beten. Während früher die Dürrejahre vielen Menschen harte Zeiten bescherten, weil sie nichts ernten, keinen Handel und keinen Fischfang treiben können, spüre ich die Auswirkungen der Dürre höchstens im eigenen Garten. Hungern muss ich nicht.
Der Hungerstein in Magdeburg ist erst vor ein paar Jahren versenkt worden. Auf ihm lese ich: „Wenn du mich siehst, ist Klimakrise.“ Immer öfter taucht er auf. Er warnt uns, das Lachen könne uns vergehen. Und das wäre ziemlich traurig. Ich bete, dass wir rechtzeitig die Kurve kriegen und etwas ändern.
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg