05.10.2021
Leben lernen
Heute wäre Liesbeth 101 geworden. Diese zierliche fromme Frau aus unserer Gemeinde. Eine eigene Tochter und die fünf Kinder ihres Mannes hat sie großgezogen Kurz nach ihrem 75. Geburtstag Sie war gestürzt. Das linke Handgelenk gebrochen. Eine Woche später noch ein kleiner Stolperer. Das rechte Handgelenk gebrochen. Das macht jeden Menschen ziemlich hilflos. Bei den alltäglichsten und intimsten Dingen braucht man Hilfe. Ich habe sie oft besucht. Von der Tochter bekam sie große Unterstützung. Beide Brüche heilten gut ab. Auch ich habe sie oft besucht. Eines Tages kam sie ganz glücklich in die Kirche zum Gottesdienst. Am Ausgang sagte sie zu mir: „So, jetzt werde ich nicht mehr kommen. Ab jetzt schone ich mich. Habe ich meiner Tochter versprochen. “ Ich war völlig verblüfft. Sie war eine treue Besucherin im Seniorenkreis und für viele eine wichtige Gesprächspartnerin. Ich fragte sie lediglich: „Wofür schonen“? Keine Antwort. Doch am nächsten Sonntag kam sie wieder. Sie sah mir meine Verblüffung an. Kurz sagte sie: „Ich habe die ganze Woche über ihre Frage nachgedacht. Ich habe gemerkt, außer für das Leben brauche ich mich nicht zu schonen.“ Sie kam noch fast 15 Jahre in den Seniorenkreis, sie war mit uns auf Gemeindefahrt nach Polen, Dänemark und in die Niederlande. Und wir haben noch viele Gottesdienste und Feste mit ihr gefeiert. Eben das Leben. Dafür lohnt es sich zu schonen. Einfach für das Leben. meint Pfarrerin Renate Höppner aus Magdeburg