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08.09.2024
Paul

Paul verändert alles. Vor allem die Nächte.
Wenn er ganz ruhig in seinem Bettchen liegt, dann ist er soo niedlich.
Aber dann quält ihn irgendwas. Und dann schreit er.
Und immer ist sie dran.
Das war anders geplant.
Sie wollten sich die elterlichen Aufgaben teilen. Aber nun murmelt ihr Mann nur:
„Muss morgen früh raus“ – dreht sich auf die andere Seite und schläft einfach weiter.
Vorgestern hielt sie Paul auf dem Arm, gegen halb vier morgens; zwei Stunden hatte er geweint.
Und nun weint sie.
Überfordert, übernächtigt, überlastet.
Ihr Blick fällt auf den frommen Abreißkalender, den ihr ihre Mutter seit Jahren schenkt.
Sie hat sich nicht getraut zu sagen, sie sei längst aus der Kirche ausgetreten.
Es ist das Blatt von vorletzter Woche: Alle deine Sorge werfe auf Gott.
Wenn es so einfach wäre!
Als wäre sie nicht eine erwachsene Frau und Mutter, sondern wieder selbst ein Kind, sagt sie:
Gott! Hilf mir! Ich kann nicht mehr!
Paul macht ein leises Geräusch. Vorsichtig legt sie ihn in sein Bettchen.
Was war das? Hat sie gebetet? So schlimm ist es schon mit ihr?
Ganz seltsam, fühlt sie eine Art von Entlastung.
Noch nie hat jemand zu ihr gesagt „Gib mir Deine Last!“.
Immer hat sie alle Lasten übernommen.
Und jetzt: ein Gott, der ihre Lasten tragen kann?
Ein ganz neues Gefühl erfasst sie.
Entlastet, erleichtert, gestärkt.
Mit einem Blick auf Paul geht sie zurück ins Bett und schläft geruhsam bis zum Morgen.

Ausgeruht grüßt aus Dessau
Joachim Liebig


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