09.09.2024
Ruhestand
Mein Schlüsselbund ist ganz schmal geworden – ungewohnt.
Ich bin im Ruhestand: keine Büroschlüssel mehr.
Es ist wunderbar und ungewohnt.
Jahrzehnte meines Berufes sind vorbei. Ich bekomme Geld und muss nicht dafür arbeiten.
Es klingt so selbstverständlich und ist doch ganz außergewöhnlich.
Viele Menschen auf der Welt können davon nur träumen.
Ich bin noch dabei, mich zu sortieren.
Zuhause bin ich jetzt der Hausmeister:
Staubsauger, Waschmaschine, Rasenmäher, Wäschespinne - das war mir zuvor nicht unver-
traut. Aber jetzt werden wir Freunde, die Hausarbeit und ich. Ich sehe am Abend, was ich ge-
schafft habe.
Das ist banal, unwichtig und nicht der Rede wert? Falsch!
Gewiss lesen wir jeden Tag von den wichtigen Menschen; hören von den Reichen und Schönen.
Erregung und beständig laute Schlagzeilen. Brauchen wir das wirklich?
Am Ende zählt gerade auch, was im Kleinen geschieht; die tägliche Arbeit in großer Selbstver-
ständlichkeit: Hausarbeit ebenso wie Kinder erziehen und Kranke pflegen.
Das ist nicht glamourös, aber lebensnotwendig.
Im Ruhestand gewinne ich einen neuen Blick dafür.
Ein wenig überraschend ist das noch immer.
Und mein schmal gewordenes Schlüsselbund erinnert mich zudem daran:
ganz am Ende zählt nur der eine Schlüssel des Petrus, der zum Himmel.
Aber davor steht hoffentlich noch ein langer Ruhestand, gern als Hausmeister.
Entspannt grüßt aus Dessau
Joachim Liebig