25.04.2023
Phantomschmerzen
Manchmal sagte mein Vater, sein Bein tue ihm weh. Als Kind musste ich darüber lachen. Wie konnte ihm das Holzbein denn wehtun? Als junger Mann hatte er sein Bein bei einem Unfall verloren und trug nun eine Prothese.
Es war natürlich nicht das Holzbein, das weh tat – es waren die Phantomschmerzen. Das Bein tut weh, obwohl es nicht mehr da ist. Denn das Gehirn sieht das Bein und verknüpft damit den Schmerz.
Mir verursacht der Krieg in der Ukraine große Phantomschmerzen, auch wenn mir selbst gar keine Bomben um die Ohren fliegen und ich nicht bei Alarm in den Keller fliehen muss. Aber ich denke an die Eltern, die Angst um ihre Kinder haben. An die Kinder, deren Eltern vielleicht noch sterben werden, auch durch Waffen aus deutschen Fabriken.
Ich denke an die Dörfer, Häuser, Plätze und Straßen, die es nicht mehr gibt, weil sie weggebombt sind. An die amputierte Zukunft, die durch diesen Krieg auf Generationen hin geprägt sein wird.
Auch wenn der Krieg einmal vorbei ist – die Schmerzen werden bleiben – über all das, was es nicht mehr gibt. Und das Weh der verletzten Seelen, auch wenn man sie gar nicht sieht.
Mein Vater hat den Unfall und die böse Infektion seines Beines nicht verhindern können. Aber Krieg, den können wir Menschen verhindern oder beenden. Dazu hat uns Gott das Gehirn gegeben: zum Erinnern, zum Empfinden, zum Nachdenken und zum Handeln.
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg