28.05.2024
Tripperburg
Wenn das alles mal fertig ist, wird das echt schön hier. Das denke ich oft, wenn ich abends noch mal eine aufmerksame Runde um den Block schlendere.
In meiner unmittelbaren Nachbarschaft steht ein Haus, das ist besonders prächtig auferstanden aus Ruinen. Es ist das ehemalige Ärztehaus, die Poly-Mitte. Hallenser sprechen nur von der Tripper-Burg. Und vielen läuft es dabei kalt den Rücken runter.
In die als Tripper-Burgen bekannten Stationen werden ab den 1960er Jahren Tausende Frauen zwangseingewiesen. Der Grund? Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Bei zwei Dritteln wird nie eine Krankheit nachgewiesen. Aber darum allein ging es auch nie. Hier werden Frauen gedemütigt. Damit sie wieder funktionieren, d.h.: arbeiten, heiraten, Kinder kriegen. Alles nach sozialistischem Schema F.
In der Hörfunkgeschichte „Kleine Klaus 16” zu diesem Thema bin ich Bettina Weben begegnet. Ihre Mutter stirbt früh, sie wächst im Heim auf. Als die junge Bettina ein Wochenende in der Stadt verbringt, statuiert der Heimleiter ein Exempel an ihr: Er sorgt dafür, dass sie wochenlang in der Tripperburg einsitzt. Mittlerweile kann sie darüber reden. Das hat ein Leben gedauert.
Die Landschaften und Innenstädte blühen, aber manche dunklen Flecken brauchen lange, um zu verschwinden. Nicht jeder kann so unbefangen wie ich durch die Stadt schlendern, weil an jeder Ecke die Orte und Peiniger von damals begegnen.
Kein Unrecht ist bei dir vergessen, Gott. Kein Unrecht bleibt dir verborgen. Vor dir werden wir uns alle verantworten. Lass uns heute genau hinsehen und hinhören.
Conrad Krannich, Hochschulseelsorger in Halle.