09.09.2023
Wahrheitssucher
Ich war zu Besuch in der Oberlausitz. In einer kleinen Pension mit Blick auf die Kirche, in der mein Vater jahrzehntelang als Pfarrer gearbeitet hat. Meine Erinnerungen gehen zurück in die Kindheit.
Er war ein witziger und mutiger Mann, ließ sich den Mund nicht verbieten und stellte im Gottesdienst auch unangenehme Fragen zum Alltag in der DDR. Die Staatssicherheit und DDR-Behörden hatten darum nicht nur ihn sondern unsere ganze Familie im Blick. Als Kind machte mich das in der Schule zur Außenseiterin, aber auch zu einer kritischen Fragerin. Mein Vater hatte in der Zeit des Naziregimes eine Kirche erlebt, die sich oft anpasste, den Krieg segnete und die nichts tat, um die jüdischen Geschwister vor den Gasöfen zu retten. „Nie wieder dürfen wir Jesus so verraten!“ war seine Überzeugung. „Wir müssen immer nach der Wahrheit suchen!“ Das hat er zu leben versucht und gab es an uns Kinder weiter.
Wenn ich mich frage, was mir in der Kirche bis heute wertvoll und unverzichtbar ist, dann ist das ein sehr wichtiger Punkt : Sie ist ein Ort der Freiheit und der Wahrheitssuche . Alle Fragen sind erlaubt, aber nicht alle müssen einheitlich beantwortet werden.
Das ist mir wichtig für die Kirche, für mein Leben, für unser Zusammenleben in diesem Land von der Oberlausitz bis zur Oberpfalz.
Gabriele Herbst, Pfarrerin in Magdeburg.
