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16.05.2023
Wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg

Vor kurzem war ich mit Gästen im schönen Naumburger Dom. Da konnte auch das Archiv besuchen. Darin befinden sich auch die Zeugnisse von Friedrich Nietzsche, der als Pfarrersohn von Röcken im Domgymnasium Schüler war. Seine Noten – die sind so lala, also nicht schlecht, aber er hatte nicht nur Einsen, im Gegenteil. Jedenfalls lassen seine Zeugnisse keinen Rückschluss auf seine späteren philosophischen Ideen zu. Was mich bei Friedrich Nietzsche schon immer fasziniert hat, ist, dass er mit einem ganz scharfen Blick die auf die Spannung zwischen dem Anspruch des Glaubens und dem Alltag der Menschen, die sich Christen nennen, schaut. Er ist wahrscheinlich einer der besten und schärfsten Beobachter, christlicher Religion – und Religion überhaupt – seiner Zeit und bleibt dann auch der Kronzeuge einer späteren Kritik an allen religiösen Überzeugungen. Im Grunde genommen bleibt er in seiner Schärfe der Beobachtung und dann auch der Konsequenz unbarmherzig. Und dennoch findet sich in seinen Werken ein Satz: „Wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg.“ Wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg. Das ist ein Gedanke, den ich mit Nietzsche ganz und gar teilen kann. Wir können, wenn wir in schwierige Lebenslage kommen, oft an der Liebe zu den anderen und zu uns selbst zweifeln und die Hoffnung wegwerfen.

Gerade einer, der nun wirklich bis ins Mark hinein sich selbst und andere kritisiert und dann daraus seine ganze Philosophie erschafft, hat so einen wunderbaren Satz: „Wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg.“ Das ist der Kern, das merkt Nietzsche: Wir brauchen die Liebe.

Johann Schneider, evangelischer Regionalbischof aus Halle.


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