02.11.2024
Baumkreuz
Jedes Jahr am ersten Samstag im November treffen sich Menschen aus Ost und West dort, wo der frühere Grenzzaun die B7 schneidet – bei Ifta, westlich von Eisenach. Auch heute wieder, zum 35. Mal. 1990 haben wir dort Bäume gepflanzt, eine Lindenallee an der B7, eine Eschenallee auf dem ehemaligen Grenzstreifen. Den Grenzzaun haben wir stehen lassen. Zwei sich kreuzende Alleen, wir nennen es: Baumkreuz.
Mit dem Baumkreuz ist es wie in der Anekdote mit dem Indianer: Er trampt durch die Weiten der USA und tatsächlich nimmt ihn ein Auto mit. Irgendwann, mitten in der Ödnis, bittet er anzuhalten. Der Fahrer fragt ihn: „Im Ernst, hier wollen Sie aussteigen?“ „Ja“, sagt er, „es geht zu schnell, meine Seele kommt nicht nach.“
Das Baumkreuz ist ein Ort, an dem die Seele der Wiedervereinigung nachkommen kann. Bei der schnellen Wiedervereinigung war das Interesse vieler im Osten nach Westen orientiert, und vieler im Westen auf den sich bietenden Markt im Osten. Am Baumkreuz suchen wir die Seele des Ganzen. Was verbindet uns, was bringen die Menschen mit, die von Osten kommen, die von Westen kommen, was bedeuten Grenzen, wen und was halten sie auf? Jedes Jahr ersetzen wir Bäume, pflegen die Alleen, mähen am Grenzzaun entlang, damit Menschen ihn anfassen und empfinden können, was Grenzen bedeuten. Die Bäume beantworten die Frage, was uns verbindet: Wer Bäume gemeinsam pflanzt, ist auch gemeinsam verantwortlich dafür, dass sie alt werden können.
Ich freue mich auf das Treffen heute, ich habe noch kein einziges versäumt.
Ralf-Uwe Beck, evangelisch und aus Eisenach.