01.11.2024
Fluchtursachen
Wir feiern in diesen Wochen den Mauerfall. Am 9. November vor 35 Jahren wurden – „sofort, unverzüglich“ – die Grenzübergänge geöffnet. Segen und sagenhaft.
Damals gab es weltweit 17 solcher Grenzen wie bei uns. Heute sind es 45. Wir feiern unseren Mauerfall, aber könnte es sein, dass uns all die anderen Grenzen sehr gelegen kommen? Die Parteien übertreffen sich in Forderungen, Grenzkontrollen und Grenzzäune zu verstärken. Aber reden nicht über die Menschen und was sie zur Flucht getrieben hat. Sie werden pauschal als Sicherheitsrisiko abgestempelt.
Aber könnte es sein, dass wir nicht auch ein Sicherheitsrisiko sind für andere? Mit der Klimakrise verschärfen sich Hunger und Elend. Die Flüchtlingszahlen weltweit werden sich verdoppeln, verdreifachen. Die Menschen, die da fliehen, sind dafür nicht verantwortlich, wir schon, zu einem guten Teil. Unsere Gerechtigkeit ist ein schmutziges Kleid, sagt ein Bibelwort. Wir haben schon lange keine weiße Weste mehr. Das Wort, das in der ganzen Debatte fehlt, egal wer sie führt, heißt: Fluchtursachen. Ist das Absicht, damit wir uns nicht nur der Flüchtlinge entledigen, sondern auch unserer Verantwortung? Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge! Das ist, christlich gesehen, der Kern, das ist die Kernseife, mit der sich Schmutz aus dem Kleid unserer Verantwortung waschen lässt.
Die Grenzanlagen und Grenzkontrollen halten nicht nur Flüchtlinge auf, sondern stehen in den Köpfen auch den Lösungen im Weg, diese Welt gerechter zu machen. Es ist höchste Zeit, sich um die Fluchtursachen zu kümmern, findet
Ralf-Uwe Beck, evangelisch und aus Eisenach.