11.10.2024
Gefechtsalarm
Vorgestern klingelt das Telefon. Ein Hörer will etwas anmerken. Ich hätte ja im Radio über das Friedensgebet in Leipzig gesprochen, 35 Jahre nach dem legendären von 1989, das mit der großen Demo hinterher. Und da hatte ich gesagt, dass sich zu heute viel verändert hat und die Regierung heute in der ersten Reihe sitzt.
Ist alles richtig, alles gut, sagt der Hörer. Er möchte nur einen Halbsatz ergänzen: Sie sitzt in der ersten Reihe, ohne sich zu schämen.
Ich ahne, worauf er hinaus will. Und dann sagt er es: Er meint die Kritik an den deutschen Waffenlieferungen für die Ukraine und dass sie uns alle nahe an einen Atomkrieg bringen.
Ich bin anderer Meinung, und wir reden ein bisschen. Ich frage ihn, wie er zu seiner Haltung kommt. Herr A. erzählt, er ist weit über 80 und war einige Jahre in der NVA in einer Spezialeinheit. Er weiß, wie sich anfühlt, wenn der Gefechtsalarm losgeht. Wenn dieses Mööp, mööp, mööp ertönt, und alle raus müssen in den Bereitstellungsraum. Und wie er 1967, während des Sechstagekrieges in Israel, da saß und gebetet hat: „Gott, lass es nicht so weit kommen“. Und er wusste, was auf dem Spiel steht: ein Atomschlag.
Ich sage ihm, dass ich auch Angst habe. Trotzdem für Waffenlieferungen bin. Weil man Bedrängten beistehen muss.
Am Abend des Tages sitze ich in besagten Friedensgebet. Und ich sehe Vitali Klitschko für den Frieden beten. Und Olaf Scholz, wie es ihn rührt. Und denke: So ist das vielleicht: Im Gebet kommen wir alle auf Augenhöhe. Und wir können uns da treffen.
Heute bete ich:
Gott behüte Herrn A. in seiner Angst. Und – ja, bitte lass es nicht so weit kommen.
Ulrike Greim, Erfurt, Evangelische Kirche