16.04.2025
Tänzer mit Blumen
Es passiert mir immer wieder, letztens erst: Ich ärgere mich und verliere die Contenance, ich kriege mich einfach nicht mehr ein und haue dem armen Menschen, der gerade mit mir telefoniert Dinge um die Ohren, die mir gerade massiv auf die Ketten gehen. Verbale Inkontinenz. Danach tut’s mir dann leid. Meistens.
Der Schriftsteller Max Frisch hat einmal – so ungefähr – notiert: Man soll dem anderen ja seine Meinung sagen, aber nicht wie einen Waschlappen ins Gesicht werfen, sondern sie wie einen Mantel hinhalten, sodass er hineinschlüpfen kann.
Ich hatte letztens einen Mann am Telefon, ich denke, so an die 70, aus Südthüringen. Er macht sich viele Gedanken und Sorgen um die Schöpfung, das Artensterben. Das bedrängt ihn. Und dann erzählt er mir, wie er das zum Thema macht: Er geht gern tanzen. Am Wochenende fährt er dann irgendwohin, wo eben getanzt werden kann. Und jetzt der Clou: Die letzte Tanzpartnerin bekommt von ihm immer einen Blumenstrauß.
„Häh“, frage ich, „wie jetzt, lassen Sie die liefern?“
„Nein“, sagt er, „ich habe die immer schon dabei, schön eingepackt.“
Er überreicht also den Strauß und sagt immer dazu: „Das ist das Lächeln der Natur.“ Und dann spricht er davon, dass es schwieriger wird mit dem Lächeln der Natur.
Ja, denke ich, der hat es kapiert, so geht das mit dem Mantel, das ist Contenance: Haltung zeigen, aber zurückhaltend. Gleichmütigkeit, aber keine Gleichgültigkeit. Leidenschaft, die kein Leiden schafft.
Da werde ich mir mal eine Scheibe abschneiden, meint Ralf-Uwe Beck, evangelisch und aus Eisenach.