04.02.2020
Der Gnaden-Engel
Ich bin ein kritischer Geist. Mit großen Ansprüchen an mich und andere. Wenn ich etwas sehe oder höre, was mir nicht gefällt, möchte ich es am liebsten ändern.
Und ich sehe und höre Vieles, was mir nicht gefällt:
Vom Hundehaufen mitten auf dem Gehweg, den Herrchen einfach so zurücklässt, bis hin zum langen Handy-Gespräch über sehr private Themen von der Dame neben mir im Zug.
Ich sehe und höre Vieles, was mir nicht gefällt. Und was ich am liebsten ändern möchte. Mein Leben ist dadurch oft etwas ungemütlich. Meine Ansprüche nerven mich und meine Mitmenschen.
Darum bin ich froh, wenn mein Gnaden-Engel auf mich acht hat.
Wenn´s zu kritisch wird, hakt er mich einfach unter und hoppst mit mir ein Stück durchs Leben. Bis ich nach Luft schnappen und kichern muss. Dann zeigt er mir Sachen, die ich sonst übersehe: Die kleine hübsche Blume zum Beispiel, direkt neben einem überfüllten Papierkorb. Oder den alten Herrn an der Bushaltestelle, der seinem kleinen Enkel lieb die Nase putzt.
Wenn ich abends traurig bin, singt der Engel mir sein Ohrwurm-Lied vor:
„Gott hat mir längst einen Engel gesandt, mich durch das Leben zu führen.
Und dieser Engel hält meine Hand, wo ich auch bin, kann ich´s spüren.
Mein Engel bringt in Dunkelheit mir Licht,
mein Engel sagt mir: Fürchte dich nicht!
Du bist bei Gott aufgehoben.“
Der Engel singt es immer wieder. Hundertachtundzwanzig Mal hintereinander, damit ich es nicht wieder vergesse bis zum Morgen.
Eine entspannte Nacht
wünscht Angela Fuhrmann, Ev. Pfarrerin in Gotha