05.02.2025
Windrose aus Holz
„Selten, dass jemand so Junges Pfarrer wird! Wie kamen Sie denn darauf?“, hat mich neulich jemand gefragt. „Wieso jung?“, dachte ich erst. Aber eigentlich schön an Kirche, dass man da mit Mitte 40 noch „jung“ ist. „Warum berichten Sie nicht stattdessen weiter bei der Zeitung über Politik?“, fragte mein Gegenüber. Na, weil es doch gerade jetzt darum geht, das zu finden und davon zu reden, was hinausgeht über unsere Welt. Beides ist nötig: die Welt sehen, wie sie ist, aber nicht im Strudel dieser Welt untergehen. Aus diesem Strudel herauskommen, kann nämlich schwer werden. Da braucht man Orientierung. Für mich ist das Glaube. Aber der ist für mich keine Liste mit festen Sätzen, die man für richtig halten muss. Noch nicht mal eine Richtschnur fürs Leben – so hat man früher die Bibel genannt. Mit einer Richtschnur steckt man beim Bauen exakt gerade Linien ab. Aber ganz ehrlich: Wenn man mitten im Weltstrudel sitzt, da fühlt man sich doch eher wie im Boot auf hoher See. Die Welt ist viel unübersichtlicher und wilder geworden, was nützt einem da ein exakt gezogener Faden? Auf See braucht man ganz andere Hilfsmittel. Eine Windrose zum Beispiel. Eine Windrose zeigt die Richtungen an. Mit ihr sucht man den Himmel ab, bis man den hellen Streifen am Horizont wieder sieht, zu dem man hinwollte. In dem Jahrhunderte alten Pfarrhaus, wo ich wohne, wurde so eine Windrose in den Holzboden eingelegt. Jeden Tag im Büro sehe ich die. Und denke an unsere Jahrhunderte alte Aufgabe als Pfarrer: den Hoffnungsschimmer suchen, davon reden, sodass andere auch in diese Richtung sehen. Auch deshalb bin ich Pfarrerin geworden.
Und bitte Sie: Halten Sie weiter Ausschau nach dem Hoffnungsschimmer! Milina Reichardt-Hahn, evangelische Pfarrerin in Fambach