06.02.2025
Henker aus Südthüringen
Es war einmal ein Scharfrichter aus dem Herzogtum Sachsen-Meiningen. Neben seinem unangenehmen Broterwerb, der zu seiner Zeit nunmal dazugehörte, war dieser Mann aber besonders gründlich. In einem Rechnungsbuch hat er lebenslang peinlich genau seine Ausgaben und Einnahmen festgehalten, berufliche wie private, auf fast 350 Seiten. Honorare hat er registriert, das heißt in seinem Fall Gebühren fürs Foltern und fürs Köpfen. Aber auch Gebühren fürs Heilen.
Die Henker damals waren auch Heiler; sie kannten sich aus mit Arzneien und Kräuterin, sie behandelten Wunden und Knochenbrüche. So konnten sie zu beidem verhelfen: manchmal zum Tod und manchmal zum Leben. Kein Wunder, dass sie gefürchtet und faszinierend waren.
Johann Jeremias Glaser wurde 1653 geboren. Sein Rechnungsbuch lag im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen. In Schmalkalden gab es eine Ausstellung dazu; der Museumsleiter hat auch ein Buch über ihn geschrieben. Spannend daran finde ich, wie genau man einen Menschen erkennen kann, der so viel früher gelebt habt. Und vor allem: wie viele Seiten er hat. In der Bibel steht: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an. Das heißt: Von jeder Person sehen wir immer nur einen Teil. Selbst die, bei denen wir sicher sind, in welche schlimmsten Schubladen sie gehören, haben noch andere Seiten. Der Henker Glaser war zum Beispiel auch fürsorglicher Vater, er wollte seinen Kindern Gutes tun wollte, hat ihnen Musikschulunterricht geben lassen.
Bei allem gegenseitigen Bewerten, sollten wir das nicht vergessen: Wir sehen nur das Äußere eines Menschen wie seinen Beruf. Dahinter aber hat jeder eine ganze Geschichte und hat seine Sehnsüchte und Wünsche.
Gott sieht das alles. Der möge Sie – heute Nacht, während Sie schlafen – freundlich ansehen!, wünscht Milina Reichardt-Hahn, evangelisch und Pfarrerin in Fambach