Rolf Schrader, der Montagsküster

„Herzlich willkommen im Magdeburger Dom. Darf ich Sie freundlich darum bitten, dass Sie Ihre Mütze abnehmen?“ Jeden Montag hat Rolf Schrader Dienst am sogenannten Kartentisch.

Der ist für Besucherinnen und Besucher das Gesicht des Domes. Neben Rolf Schrader tun hier um die 20 Ehrenamtlichen ihren Dienst. Sie beantworten Fragen der Gäste und verkaufen Postkarten, Kühlschrankmagnete oder andere Souvenirs.

Der 84jährige Rolf Schrader übernimmt montags aber nicht nur den Dienst am Kartentisch, sondern ist auch „Montagsküster“ und vertritt einmal in der Woche die hauptamtlichen Küster.

Ohne despektierlich zu sein, darf man Schrader schon als so etwas wie Dom-Inventar bezeichnen. Er nickt schmunzelnd, bei der Bezeichnung. Getauft wurde er nicht im Dom. „Leider“, bedauert er, „aber meinen Eltern war der Weg von unserer Wohnung am Editharing bis zum Dom während des Krieges zu gefährlich.“

So beginnt Rolf Schraders Domzugehörigkeit genau genommen offiziell im Jahr 1952 mit Beginn des Konfirmandenunterrichtes bei Domprediger Ernst Martin. Seitdem ist er Domführer, er war Gemeindekirchenrat, hat im Sekretariat ausgeholfen und ist seit seinem Ruhestand vor 21Jahren der „Montagsküster.“ Inventar eben. Selbst Urlaubsreisen habe er möglichst so geplant, dass die montäglichen Küsterdienste davon nicht berührt wurden. „Ich bin dienstags gestartet und war am Sonntagabend wieder zurück.“

Jeden Montagmorgen um 10 Uhr öffnet Rolf Schrader also die Pforte und übernimmt den Kartentisch. Als Montagsküster bereitet er auch das Mittagsgebet um 12 Uhr vor. Um halb zwölf stellt er das Hinweisschild in den Eingang. Anschließend entzündet er die Kerzen auf dem Altar, rollt die Absperrkordel um den Altar zusammen und versteckt die Metallständer dahinter. Die Glocke im Dachreiter wird elektrisch betrieben. Kurz vor 12 Uhr drückt er den Schalter für die Orate.

Außerdem  übernimmt Rolf Schrader am Montag auch die öffentliche Domführung am Nachmittag um zwei. Zwischen September und März führt er im Winterhalbjahr, unterstützt von ein bis zwei Begleitern, alle zwei Wochen am Freitagabend im Dunkeln durch den Dom.

„Es wird dunkel …!“ heißt es um 22 Uhr, anschließend erlischt im ohnehin nur spärlich erleuchteten Dom das letzte Licht, und vor der Ernstkapelle beginnt die 75minütige Nachtführung.

Die Nachtführung ist keine mit Jahreszahlen gespickte Dombesichtigung; Rolf Schrader erzählt „Geschichten um die Geschichte des Doms.“ Er möchte Besucherinnen und Besucher neugierig machen, „auf einen Besuch bei Tage, zum Orgelkonzert oder zum Gottesdienst.“

Die Faszination der Nachtführungen liegt für den geborenen Magdeburger darin, „dass wir uns nur auf ein Objekt fokussieren.“ Wenn die Lichtkegel der Taschenlampen über den Lettner wandern oder das warme Licht von Schraders manchmal etwas altersschwacher Taschenlampe den steinernen Mauritius fast menschlich erscheinen lässt, dann sind die Besucher nicht abgelenkt und lauschen gebannt seinen „Geschichten um die Geschichte.“

Als Zuhörer hat man den Eindruck, er sei damals wirklich dabei gewesen: Sei es, als Otto seiner Editha die Stadt Magdeburg als Morgengabe geschenkt hat; sei es, als Erzbischof Burchard III. im Ratskeller wegen der von ihm erhobenen Biersteuern erschlagen wurde oder auch als Domprediger Bake im 30jährigen Krieg die im Dom eingeschlossenen Magdeburger mit seinem Kniefall vor Tilly gerettet hat.

Was die jüngere Geschichte des Domes angeht, so war Schrader tatsächlich mittendrin. Das Barlach-Mahnmal ist bei den Nachtführungen der Ort, an dem die Friedliche Revolution vom Herbst 1989 lebendig wird. Gänsehautfeeling auch noch über 30 Jahre später, wenn Rolf Schrader vom 9. Oktober 1989 berichtet: „Sie können mir glauben: Wir hatten Angst!“ Wie sich später herausstellte, waren damals rund um den Dom Kampftruppen in Bereitschaft.

Zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution tauchen diese Erinnerungen wieder deutlich auf. Schrader war von Beginn an bei den Montagsgebeten dabei. Erst 40 Besucherinnen und Besucher, eine Woche später 400 und schließlich 4.000. Rolf Schrader erzählt davon, dass der Staat alles getan habe, um die Montagsgebete zu stören. Einmal sei eine riesige Ladung Kohle vor dem Eingang zum Kreuzgang abgeladen worden. „Der Dom hatte Kohleheizung, aber wir hatten gar keine Kohle bestellt.“

Einer von Rolf Schraders Lieblingsplätzen im Dom gehört nicht zum Weg bei der Nachtführung. Nach dem Barlach-Mahnmal öffnet er bei Tage den Gästen die Tür zur Paradiesvorhalle mit den klugen und den törichten Jungfrauen. „Ob betrübt oder glücklich. Die hübschen Mädchen sprechen mich in jeder Stimmung an.“

Für Baukunst und Geschichte hat sich Rolf Schrader schon immer interessiert und es mache ihm Freude, Menschen zu begegnen. „Diese beiden Dinge zu verbinden und obendrein noch Magdeburg hoffentlich gut zu vertreten – was will ich mehr?“


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