08.09.2024
15. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst „60 Jahre Bausoldaten“, Neudietendorf, 08.09.24, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Predigttext aus Mt 6,25-34, 15. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst „60 Jahre Bausoldaten“, Neudietendorf, 08.09.24, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
25 Jesus spricht:
Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist
wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.
Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Manchmal steht gerade das Wesentliche im Kleingedruckten. Manchmal im vorletzten Satz. So wie in dieser Rede. Der vorletzte Satz hat es in sich: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Manch einer von Euch, liebe ehemalige Bausoldaten, ist vielleicht mit dieser Aufforderung schon sein ganzes Leben unterwegs. War es schon damals, als eine Entscheidung anstand, deren Auswirkungen keiner ahnen konnte: weder ihr, noch eure Frauen, Freundinnen, Kinder, Eltern, Geschwister… Aber für Euch gehörte diese Entscheidung zum Leben mit Jesus hinzu, zu einem Leben, welches sich nicht mit dem Verweis auf das Reich Gottes als „Einst“, „Irgendwo“ oder gar „Sankt-Nimmerleins-Tag“ zufriedengab, sondern bereits das eigene Leben nach Gottes Auftrag gestalten wollte. Und dazu gehörte für Euch – wie für mich– selbstverständlich das Friedenszeugnis in Form der Verweigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Ihr habt entschieden, der Verheißung Gottes, dem Aufruf Jesu zu folgen.
So radikal, wie Jesus zu seinen Jüngern spricht, habt ihr gehört wie jene, die mit ihm am Tisch saßen oder predigend durch Städte und Dörfer zogen. Und habt dann getan, was getan werden musste.
Mancher überlegt vielleicht auch im Rückblick, ob es richtig war, so radikal seinen Weg zu gehen und vieles, mitunter alles aufs Spiel zu setzen: Ausbildung, Studium, Beruf, weiterer Lebenslauf, - nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle, für die man ungefragt mitentschied. Ja, die DDR hat die „Sippenhaft“ der Nazis ohne Unterbrechung weitergeführt: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen... Eine unbarmherzige, eine elende, verabscheuungswürdigende Logik. Eine Logik, die in Not brachte und einen selbst zweifeln lassen konnte: Sollte man denn, selbst auf Kosten Dritter, seine Überzeugung leben? Und, waren solche Zweifel Einflüsterungen der Schlange der Versuchung oder Gedankenblitze des Heiligen Geistes zur Warnung?
Den Jüngern ging es nicht anders. Sie waren von Ihm, dem Meister, diesem faszinierenden Rabbi angesprochen worden und hatten sich ihm angeschlossen. Und sie erlebten, dass einige, die fragten, auch sehr eindeutige Antworten erhielten, wenn es etwa um familiäre Bindungen ging. „Lass doch die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Evangelium“. Radikal war die Entscheidung und radikal auch die Erfahrungen. So radikal, wie die Fragen.
Jesus nimmt in seine Rede diese Fragen auf. Er hat gehört, wie die jungen Männer sie stellen: Wenn wir jetzt losziehen, wo werden wir übernachten? Wenn wir seine Botschaft verkünden, wie werden wir überleben? Wenn wir doch unsere Familien verlassen haben, wer wird auf uns und sie achtgeben? Wo werden wir geborgen und sicher sein? Was werden wir essen, trinken, womit uns kleiden?
Und so spricht er:
Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?
Dann stehen aber dort bei den Jüngern auch noch Christoph, Sebastian, Friedrich, Gerhard, Johannes, Markus, Benjamin, Daniel, Rainer, Gunter, Joachim, Stefan, Ulrich, Tobias, Michael, Hosea… und sie fragen Jesus: „Was wird aus uns, wenn wir jetzt unsere Entscheidung, so für deinen Frieden einzutreten, leben? Was wird werden, wenn sie uns an Leib und Seele zu brechen versuchen? Wie sollen wir reagieren, wenn man uns mit der Gesundheit, der Freiheit der Zukunft unserer Lieben erpressen wird? Wie sollen wir standhalten, wenn sie uns zu kaufen suchen?
Und Jesus sieht einen nach dem anderen an. Er sucht ihre Augen, sieht den nackten Zweifel unter ihrer Haut im Gewand des trotzigen Mutes. Jesus lauscht auf die Zwischentöne und die Fragen zwischen den Zeilen und hört die Angst im Gewand des zu lauten Lachens. Jesus sieht ihre vernarbten Seelen und die Wunden, die das Leben als Bausoldat, Totalverweiger und Widerständler ihnen zugefügt und kein Pflaster mitgeliefert hat. Und Jesus wird sehr direkt und noch konkreter: „Meine Freunde, Eure Sorgen verstehe ich. Sie kommen bei mir an, sie erreichen mein Herz. Und manche kenne ich auch von mir. Aber, seid gewiss, es geht um viel mehr! Es geht um das Reich Gottes. ER, Gott selbst, mein Vater, baut das Reich Gottes mit und nicht gegen euch. Denkt ihr etwa, er würde nicht auch die Antworten auf eure Sorgen mit hineinbauen? Habt Vertrauen, um Gottes willen, vertraut mir. Ich lasse euch nicht im Stich, auch nicht in euerm Zweifeln. Ich bin bei euch in der Sorge, bereits, wenn ihr sie aussprecht. Ich mache eure Ängste zu meinen und nehme sie mit ins Ringen um Gottes Willen.
Und Christoph, Sebastian, Friedrich, Gerhard, Johannes, Markus, Benjamin, Daniel, Rainer, Gunter, Joachim, Stefan, Ulrich, Tobias, Michael, Hosea … entgegnen: „Nicht genug damit, Jesus, was wir damals an Sorgen hatten. Täglich kommen neue dazu. Hast du die aktuelle Friedenspolitik verfolgt, Jesus? Hast du gehört von der sogenannten Zeitenwende, nach der bis dahin Undenkbares in Sachen Aufrüstung wieder denkbar wird? Hast du unsere Wahlergebnisse gesehen, Jesus? Und den sich ausbreitenden Hass gegen Gäste und Fremdlinge, Andersdenkende, -fühlende und -glaubende in unserem Land? Hast du die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplizierte Fragen wahrgenommen, und das Ignorieren von gesellschaftlichen Vereinbarungen?“
Vorsichtig legt Jesus dir zwei Finger unters Kinn und hebt dein Gesicht. Deine Augen sehen auf. Sehen die zarten Konturen des Gottesreiches: partiellen Frieden, vereinzelt schon zu spürende Gerechtigkeit, eine abgewischte Träne, die geheilte Krankheit, geteilte Freude, mitgetragenes Leid, An-Teilnahme… Konturen des Gottesreiches, jetzt schon sichtbar. „Es wächst mitten unter euch, erkennt ihr es denn nicht?“
Und Jesus macht die Arme weit auf und weist auf die ganze Erde, umfasst mit einer einzigen Geste alles, was lebt und legt das so Eingeholte vor uns hin:
Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist
wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
Ihr Lieben, an uns Kleingläubige richtet sich Jesus. Im Matthäusevangelium gehört dieser Ausdruck ausschließlich in die Beziehungssprache zwischen Jesus und der Jüngerschar. Jesus sieht ihren, sieht unseren Glauben bereits wachsen. Seine Berufenen sind auf Wachstum hin angelegt. Er sieht im zaghaften Tasten nach Halt bereits das entgrenzte, unbedingte, sich mit Haut und Haar ausliefernde Vertrauen. Auch bei dir und bei mir. Unglaublich!
Alles, was Gott geschaffen hat, tritt als Zeuge dafür auf, dass unsere Sorgen nicht das letzte Wort haben. Alle Vögel unter dem Himmel, alle Blumen der Welt: Die ganze Schöpfung ist das „Dennoch“ Gottes gegen die Hoffnungslosigkeit. Es ordnet unsere immer wieder so schmerzhaften Erfahrungen ein, gibt den diffusen Ängsten Namen. Es stellt sich mutig gegen den Abgesang auf den Frieden der Sanftmütigen. Sein Dennoch wird die Mächtigen von ihren Thronen stürzen und Erniedrigte erheben. Beim Lied der Amsel und beim Binden von Wegwarte und Färberdistel zum Strauß, will ich mich daran erinnern.
Ja Herr, das tut mir gut: zu sehen, was du schon siehst; zu hören, wie es sein wird; zu spüren, dass das Reich Gottes kommt, ja, jetzt schon Gestalt annimmt. Auf dein „Dennoch“ hin will ich es wagen, mir die Freiheit nehmen, loszulaufen. Und gehe, zu tun, was zu tun ist: Heute und morgen, in Gottes Namen. Amen
Und der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre Herzen und Sinne jetzt und alle Zeit.