18.08.2024
Predigt Kirchweih 444 Jahre St. Walburga Wolperndorf, KK Altenburger Land, Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Predigt zu Lk 13,10-16, Kirchweih 444 Jahre St. Walburga Wolperndorf Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler
Liebe Festgemeinde,
Gnade sei mit Euch und Frieden…
Euer Fest hier vor Ort am heutigen Tag zu feiern, dafür habt Ihr Euch ganz bestimmt bewusst entschieden. Habt beraten und abgewägt, immer mit dem Ziel, dass dieser Nachmittag für viele Menschen ein freier Tag ist und sich deshalb für solch ein Jubiläum eignet.
Was für ein Glück, dass uns Gott mit der Erschaffung der Welt und allem, was zu ihr gehört, vorgemacht hat, wie Leben sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft gelingen kann: Sechs Tage Arbeit, „am siebten Tag aber ruhte Gott von allen seinen Werken.“ Jede Woche ein Feiertag. Ein Tag, an dem Leib und Seele zu ihrem Recht kommen sollen: unser Leib, indem er Ruhezeiten bekommt oder wir uns – besonders bei den Vielsitzern unter uns – bewegen können. Unsere Urgroßeltern haben Sonntagskleidung getragen und es gab nach dem Sonntagsbraten Mittagsschlaf. Unsere Seele, indem sie sich in der Gemeinde von Gott ansprechen lässt und ihm mit Gebet und Gesang antwortet. Das Recht, dass wir die unserer Religion zugrundeliegende Feiertage auch staatlich geschützt einhalten können, hat Verfassungsrang. Ein hohes Gut! Die Diskussionen darüber laufen seit Jahre. Manche wollen den Karfreitag zum Partytag machen, die jeweils zweiten Feiertage nach Ostern, Pfingsten und Weihnachten abschaffen und andere den Sonntag mit durchgehenden Ladenöffnungszeiten schwächen. Dabei brauchen wir solche festverankerten Tage mehr denn je! Die All-Erreichbarkeit per Handy, das mobile Büro, u.v.m. rauben Kräfte, mitunter ohne, dass wir dies sofort merkten. Wer stets „online“, wer immer auf „Abruf“ ist, kann nicht mehr abschalten. Menschen erleben sich zunehmend erschöpft, manche trägt es lange Zeit aus der Kurve. Das ist ein Merkmal unserer Zeit, doch mit der Verabschiedung von festen, regelmäßig freien Tagen sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen…
Ja, Ihr Lieben, schon Euer Fest – 444 Jahre Kirche in Wolperndorf – hat viel mit solchen feststehenden, freien Tagen im Jahr tun. Die Legende erzählt, dass Wolperndorf einmal ein viel besuchter Wallfahrtort war. Jedes Jahr zum Weihetag am 30. April – der Walpurgis-Nacht – kamen unzählige Menschen hierher, um zur Heiligen Walburga zu beten. Sie nahmen sich die Zeit und brachten sicher viel Mühe und lange Wege auf: jene, die „an Leib und Seele krank waren“. Der Weihetag war dazu ein festes Datum im Jahreskreis. So war man nie allein. Ich stelle mir vor, wie die Leute bereits unterwegs miteinander sprachen. Ich höre im Geist, wie sie sich ihre Lebens- und sicher auch ihre Krankheitsgeschichten erzählten. Sie tauschten ihre Erfahrungen aus, die eine hatte bereits jenes Mittelchen, der andere dieses Kraut angewendet. Mit unterschiedlichem Erfolg. Die Geschichten machten die Runde. Und, vielleicht kamen auf dem langen Weg nach Wolperndorf auch noch andere Probleme zur Sprache, die die Leute mit sich herumschleppten. Beim gemeinsamen Gehen ließ sich gut darüber nachdenken. Hier dann endlich angekommen, liefen Kranke zum Waldbach und benetzten sich mit dessen Wasser. Von diesem „Heiligen Walburgiswasser“ erhofften sich Heilung und Genesung von Leiden wie Husten, Augenleiden oder Tollwut. Und die Legende erzählt, dass viele gesund wurden. Was für ein Feiertag!
Was für ein Feiertag auch für die Frau, die Jesus begegnet. Der Evangelist Lukas erzählt uns davon. Jesus lehrt am Feiertag der Juden, dem Schabbat, in der Synagoge. Dass er hier predigt, ist keine Seltenheit. Er ist oft hier. Und so ist es ein ganz gewöhnlicher Sabbat, und für die versammelte Gemeinde ein vertrauter, gewohnter Ort. So wie St. Walburga ein vertrauter Ort ist für Euch alle, die sich hier zum Gottesdienst versammeln oder die „ihre“ Wolperndorfer Kirche heute besuchen, weil sie eine Beziehung zu ihr haben.
Und so wie Ihr als Gemeinde heute, versammelte sich die Gemeinde damals am Schabbat in der Synagoge. Jesus steht auf und legt die Heilige Schrift aus. Vielleicht spricht er, wie später Walburga, von Gott als Arzt, der heil-machen kann. Vielleicht predigt er darüber, dass Leib und Seele zusammengehören und ihre Pflege brauchen.
Dann sieht er sie. Die Frau. Die Namenlose, von der er kein Gesicht sieht, weil sie verkrümmt ist, wie die Bibel sagt. Er sieht den Buckel, den gekrümmten Rücken, der sie klein macht und krumm. Sie muss durch ihre Krankheit in entwürdigender Haltung stehen, kann sich nicht aufrechthalten. Auf der Straße wird sie „die Bucklige“ genannt, da weiß jeder sofort, von wem die Rede ist. Was für eine Demütigung, stelle ich mir vor, was für eine Demütigung bedeutet es, sich nicht aufrecht hinstellen oder hinsetzen zu können! Wie hält man das aus, dass man anderen nicht Auge in Auge gegenübertritt, sondern sich stets unter großen Schmerzen aufrichten muss, um gesehen zu werden. Die Bucklige. Der Lahme. Die Durchgeknallte. Der Penner. Leute ohne Ansehen. Nicht mal den eigenen Namen lässt man ihnen. O, auch eine eingeschworene Gemeinschaft kann grausam sein, wenn sie gegen jemanden einig ist…
Jesus ruft die Frau. Ob er ihren Namen ruft oder sie anders anspricht, wir nicht erzählt. Vielmehr aber, dass Jesus die Frau sieht, ruft und mit ihr vor die versammelte Gemeinde tritt. Er führt sie damit aus der Unsichtbarkeit, aus der ihr zugewiesenen Ecke, aus dem Verschwiegenwerden in die Mitte der Gemeinschaft. Noch ist nichts geschehen, noch hat sie nicht ihre Krankheit los und dennoch ist bereits alles anders. Jesus macht die Frau sichtbar. Er stellt sich mit ihr vor die Gemeinde. „Seht her“, kann das heißen, „seht her, diese Frau gehört zu Euch. Auch, wenn Ihr sie ignoriert, sie in die Unsichtbarkeit abdrängt, sie namenlos stumm macht, sie gehört zu Euch. Und Ihr seid füreinander verantwortlich!“
Was dann geschieht, beschreibt die Bibel so:
10 Und Jesus lehrte in einer Synagoge am Sabbat.
11 Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten.
12 Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit!
13 Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.
Der Gemeinschaft, der die Frau immer angehörte und doch nie wirklich Teil von ihr war, führt Jesus die Frau vor Augen. „Hier, diese Frau, die ihr gar nicht mehr richtig seht, die keiner von euch ansieht, geschweige denn integriert, die sehe ich. Ich erkenne ihre Geschichte. 18 Jahre lang gebückt, verkrümmt. Ihr Rücken ist abgearbeitet, sie hat sich abgerackert für andere, sich krummgemacht für die, denen sie dienen musste. Was für ein Leben! Sie ist alt geworden vor der Zeit und kein Kleid, kein Schmuck macht sie schön. Ich aber sehe in ihren Augen, für die ich mich bücken muss, um hineinzuschauen, ihre Sehnsucht, Teil der Gemeinschaft zu sein. Anerkannt zu sein als das, was sie ist: Ein Gotteskind!“
Und dann wendet sich Jesus direkt an die Frau. Und er unterstreicht alles zuvor Gesagte, indem er ausspricht, wie er die Frau sieht: Aufrecht, stolz, schön.
Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit!
13 Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.
Die Geschichte von der Heilung der verkrümmten Frau, wie sie uns von Lukas im 13. Kapitel erzählt wird, geht noch weiter. Jesus wird hinterfragt, ob eine Heilung am Feiertag, am Schabbat denn recht sei. Gott habe doch genug Arbeitstage eingerichtet, an denen auch geheilt werden könne, aber heute sei doch Feiertag und Gottesdienst.
Jesus reagiert auf den Einwand. Auch er ist ein Befürworter des Feiertags und achtet Gottes Gebot, diesen zu heiligen. Und dennoch bleibt er dabei: Dass, was er dieser Frau Gutes tun konnte, war Gottes Willen selbst. Es war Teil des Feiertags, denn die Frau erlebt nun auch, vielleicht nach 18 Jahren das erste Mal, Gottes Ruhetag für sich. Für ihren Leib und Seele.
Lukas lässt Jesus sagen:
Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke?
16 Musste dann nicht diese, die doch eine Tochter Abrahams ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden?
Ja und Amen!, Gott, das will ich mir behalten: Feiertag zu halten bedeutet, sich selbst Ruhe zu gönnen und Leib und Seele vor Gott zu bringen, damit ihnen Gutes geschehe. Und das nicht nur mir, sondern auch anderen zu ermöglichen. Jesus hat es uns vorgemacht. Und Walburga von ihm gelernt. Damals und heute sehnen sich Leute, angesehen zu werden.
Liebe Gemeinde, das ist ein Fest, wenn Ihr hier in Wolperndorf so miteinander lebt, so aufeinander achtet!
Der Predigttext endet mit dem Satz: „Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch Jesus geschahen.“ Also: Lasst geschehen, was Gott Gutes tut. Rechnet damit. Für jeden und jede. Gotteskinder seid ihr. Amen