06.07.2024
Ökumenische Morgenandacht im Thüringer Landtag, 6.7.2023, Dr. André Demut, Clara-Marie Rymatzki

Dialog-Predigt zu Joh 21, 1-6 von Clara-Marie Rymatzki und OKR Dr. André Demut

Ökumenische Morgenandacht im Thüringer Landtag am Donnerstag, den 6. 7. 2023 um 08.30 Uhr im Raum der Stille des Thüringer Landtags

- Begrüßung
- EG 440, 1-4 All Morgen ist ganz frisch und neu
- Psalm 46, 1-12 im Wechsel beten (Liedblatt)
- EG 697 Meine Hoffnung und meine Freude
- Schriftlesung: Johannes 21, 1-6 (Kullmann):
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu
essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

- Dialog-Predigt zu Joh 21, 1-6 von Clara-Marie Rymatzki (Studentin der Evangelischen Theologie und im Juni – Juli 2023 Praktikantin im Evangelischen Büro Thüringen – CR – und OKR Dr. Demut – De
De (1):
Liebe Landtagsgemeinde,
die Jünger Jesu machen wieder das, was sie mal gelernt haben. Sie gehen fischen. Jesus war am Kreuz gestorben. Die Hoffnung auf ihn hatte sich als vergeblich erwiesen. Was läge näher, als wieder in die alten Bahnen zurück zu gehen: In Galiläa, hinausfahren auf den See Tiberias, die Netze auswerfen, wieder und wieder und sich vom Fang ernähren. So sei es, so ist der Lauf der Welt. Doch was, wenn sich – wie hier berichtet – die ganze Mühe als vergeblich erweist? Sie fischen die ganze Nacht und fangen trotz harter Arbeit … nichts! Ich denke, wir können uns gut in die Jünger hineinversetzen. Wir alle tun das, was wir tun, immer und immer wieder. Mit einer gewissen Routine, doch auch mit Leidenschaft, mit Sachverstand, mit heißem Herzen für die Anliegen, die uns besonders wichtig sind:
- Wir in der Kirche organisieren große Events einerseits und viele Gemeinden machen andererseits ohne viel Aufhebens einen richtig guten Job:
die Gegenwart Gottes feiern,
Bedürftigen beistehen,
gute Bildung organisieren,
die Stimme erheben für Ausgegrenzte.
Wir werfen unverdrossen die Netze aus für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
- Auch Sie als Politikerinnen und Politiker werfen wieder und wieder Ihre Netze aus:
Beim Ringen um die besten Argumente für Ihre politischen Positionen, beim Werben um das Vertrauen der Menschen in Ihrem Wahlkreis
bei der häufig unsichtbaren und doch sehr wichtigen Pflege Ihrer Netzwerke,
beim Aktenstudium,
beim Einarbeiten in neue Themen und Probleme …
bei all den Dingen, die natürlich nicht – so ähnlich wie auch in der Kirche nicht – in einen 8-Stunden-Tag passen, sondern häufig an den Abenden stattfinden, an den Wochenenden, wenn andere längst im Feierabend sind.
Ach, wenn wenigstens was hängenbliebe im Netz! Ich denke, wir fühlen uns regelmäßig so, wie sich die Jünger gefühlt haben, als sie die ganze Nacht
schufteten – und kein einziger Fisch war im Netz. Was machen wir, wenn die „Stapel-Krisen“ sich immer weiter verdichten? Die Klima-Krise, das Nahen der Kipp-Punkte?! Die Demokratie-Krise, das Sägen weltweit an der Gewaltenteilung, am Minderheiten-Schutz, am Prinzip der Gewaltlosigkeit bei Machtwechseln?! Die Wahrheits-Krise, das Anwachsen der KI-gestützten „alternativen Fakten“?!
Die Vertrauens-Krise, besonders tödlich für Gemeinschaften wie christliche Kirchen, deren Kern-Kapital nun einmal Vertrauen ist?!
Wie soll man da noch Hoffnung haben?
Weshalb die Netze wieder und wieder auswerfen?
Weshalb nicht Rückzug in die kleine, vermeintlich heile private Welt und die kaputte Welt überlassen wir ihrem kaputten Schicksal?
CR (1):
Nein! Auf keinen Fall! Hoffnung kann mir hier jemand geben, der in ähnlich auswegloser Situation war, der alles probiert hat, die ganze Nacht gefischt hat, mit voller Energie dabei war, und doch nur ein scheinbar leeres Netz an Bord gezogen hat: Dietrich Bonhoeffer! Er hat versucht sich wirklich im Kampf gegen das NS Regime für alles Gute einzusetzen, er war am Stauffenberg Attentat beteiligt, in der Bekennenden Kirche und im Widerstand aktiv. Jetzt sitzt er in den letzten Kriegsjahren im Gefängnis und wartet auf ein ungewisses Urteil. Seine Welt geht unter! Und in all diesen ausweglosen Situationen, die so gar nicht hoffnungsvoll oder zuversichtverheißend scheinen, schreibt er einen Satz, was jetzt dran ist zu tun.
„Beten, das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten.“
Was bedeutet das?
Beten, mit meinen unlösbaren Aufgaben, auch mit meinen Misserfolgen und allen durchgefischten Nächten vor Gott kommen und mich betend auf IHN verlassen.
Das Gerechte tun, also Weiterfischen. Nicht aufhören sich für das Gute und für Gerechtigkeit einzusetzen, egal wie unbedeutend es wirkt im Angesicht einer brennenden Welt.
Und auf Gottes Zeit warten.
Bonhoeffer bleibt nicht hier stehen, an diesem bisschen erfolglosen Punkt, sondern all das was wir tun, tun wir mit der Perspektive auf Gottes handeln! Und es ist daran auf Gottes Zeit zu
warten! Und das ist kein Warten auf Godo, ein gelangweiltes, tatenloses an der Bushaltestelle stehen oder so, sondern ein erwartungsvolles, staunendes Warten, in dessen Licht aufeinmal alles Beten und alles Tun extrem relevant wird, weil wir wissen, dass Gottes Zeit kommen wird, wir warten ja darauf, dass Er zu seiner Zeit Türen öffnet und handelt!
Ein Beispiel macht dieses Warten recht deutlich. Also, mir gehts so, wenn ich weiß, dass ich diese Woche dran bin meine WG zu putzen, dann gibt es meistens zwei Szenarien. Ich bekomme am Wochenende keinen Besuch. Dann denke ich mir am Sonntag Mittag: okay, ich sollte mal was tun und mach es jetzt, dann kann ich danach noch nen schönen Sonntag Abend genießen, am. Drei Stunden später findet mich Sophie, meine Mitbewohnerin vor Tiktok in einer ungepuzten Küche und von meinem Sonntag Abend hab ich natürlich auch nichts mehr. Ich hab halt so ziellos vor mich hin gearbeitet…
Dann gibts aber auch den Fall, dass irgendwann am Wochenende Besuch kommt, am Besten über Nacht! Und dann hab ich am Freitag meist nur ne Stunde Zeit, oder so, aber in der Zeit hab ich schnell und gründlich die ganze Wohnung geputzt, weil ich ja jemanden erwarte! Alles was ich tue, alles aufräumen steht in einem ganz anderen Licht, weil ich aktiv auf jmd warte, ich arbeite nicht so vor mich hin, sondern ich rechne damit, dass der Besuch kommt, ich erwarte ihn, oder sie! So stellt das Warten auf Gott unser ganzes Beten und Gerechte Tun in ein ganz neues Licht!
De (2):
Ach, Frau Rymatzki, es tut mir gut, dass Sie die Hoffnung nicht fahren lassen. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt onkelhaft klingt: Ich bin mehr als doppelt so alt wie Sie und Sie werden
wesentlich länger als ich mit den Wirkungen der übereinander gestapelten Krisen leben müssen wie ich. Umso mehr berührt mich Ihr Vertrauen auf Gott, berührt mich Ihre Zuversicht.
Auch bewegt es mich, dass Sie uns an Dietrich Bonhoeffer erinnern und seinen Dreiklang vom „Beten“, vom „Tun des Gerechten“ und vom „Warten auf Gottes Zeit.“ Das Zitat stammt aus einem Brief, den Bonhoeffer im Mai 1944 aus dem Gefängnis heraus seinem Patensohn zur Taufe mit auf den Lebensweg gab. Als diese Zeilen geschrieben wurden, war überhaupt nicht absehbar, dass Demokratie,  Gewaltenteilung und Minderheitenschutz in Europa wieder die Oberhand gewinnen werden.
Wir tun manchmal so, als seien die Etappen-Gewinne für Menschenrechte und für eine regelbasierte internationale Ordnung am 8. Mai 1945 oder am 9. Oktober 1989 quasi unausweichlich gewesen.
Leider ist das nicht so. Es hätte auch ganz anders kommen können.
Die Zukunft ist offen – im Guten wie im Schlechten. Und gerade deshalb danke ich Ihnen für die Erinnerung an Bonhoeffer und seine Glaubenszuversicht. Auch wenn die Welt lichterloh brennt, werfen wir das
Netz immer und immer wieder aus. Wir tun das Gute, weil es das Gute ist … und auch, wenn das Netz häufig leer bleibt. Was soll denn die Alternative sein?! Und danke fürs Erinnern ans Gebet und an das Warten auf Gott. Das ist kein frommer Schmus, den man oben drauf pappen muss, weil wir hier in einer christlichen Andacht sind. Bonhoeffer hat das gewusst und Sie haben uns daran erinnert:
Ohne Beten und Warten auf Gott ist das Tun des Gerechten auf Dauer nicht durchzuhalten.
Wir brauchen gute Gründe, um das Netz immer wieder auszuwerfen, gerade weil es so häufig leer bleibt. Gott lässt seine Welt nicht los. „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den
großen Nöten, die uns getroffen haben.“ – so haben wir es vorhin gebetet.
Eine kritische Rückfrage habe ich dann doch noch zu dem, was Sie uns vorgetragen haben:
Ihr WG-Putz-Beispiel fürs „Warten auf Gott“ macht mir ein bißchen Angst und schafft für mich zusätzlichen Krisen-Problem-Druck. Was genau soll die Botschaft sein, wenn Sie
beschreiben, dass Sie die WG nur dann putzen, wenn jemand zu Besuch kommt? Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht von „Überdynamisierungskrise“ und sein Kollege Hartmut
Rosa in Jena identifiziert eine „soziale Dauerbeschleunigung“ als das, was die Klima-Krise, die Demokratie-Krise, die Wahrheits- und die Vertrauenskrise so verzwickt macht.
Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, wo wir in Ruhe ein Problem identifizieren, um uns dann nach einer Lösung umzuschauen. Die Geschwindigkeit der Herausforderungen dreht immer weiter hoch.
Wie kann dann noch mehr Druck – „Ach du Schreck, jemand kommt zu Besuch, ich muss die WG putzen!“ die Lösung sein für den Umgang mit unseren vielfältigen übereinander gestapelten Krisen?
CR (2):
Noch mehr Druck kann nie die Lösung sein, außer beim Schnellkochtopf! Was ich mit diesem Beispiel nur deutlich machen wollte war, das feste Rechnen damit, dass Besuch kommt. Mehrmals die Woche kommt der Freund von meiner Mitbewohnerin zu Besuch und natürlich putzt niemand in der WG bevor er kommt. Aber trotzdem rechnet Sophie fest mit seinem Kommen! Das ist alles, was ich
mit diesem Beispiel deutlich machen wollte: Ich lebe nicht so irgendwie vor mich hin, sondern ich lebe mit einer Zukunftsperspektive, einer zielgerichteten Hoffnung, das da noch jemand kommt, dass da noch was kommt, dass das hier nicht das Ende ist! So ist die erfolglos durchgefischte Nacht der Jünger auf dem See auch noch nicht das Ende! Da kommt der Morgen: und jemand kommt zum
Frühstück zu Besuch… und die Jünger haben Nichts zu essen. Ja, Herr Demut, ein Beispiel für Gastfreundschaft ohne auf Druck die Wohnung putzen zu müssen! Die Jünger haben nicht mal was zu Essen
da gehabt! Aber sie werfen auf Jesu Anweisung die Netze nochmal aus, auf der anderen Seite des Bootes. Jetzt am Morgen, wenn Gottes Zeit gekommen ist, ziehen sie ein Netz übervoll mit Fischen aus dem Wasser!
Unser Gerechtes Tun und unser Warten auf Gottes Zeit wird sich auszahlen und deshalb gibt es Hoffnung auf einen Morgen, auf ein morgen, eine Zukunft.
De (3)
Wenn ich Ihren Worten nachlausche, kommt mir noch ein Gedanke:
Vielleicht unterschätzen wir das „Warten-können“, von dem Bonhoeffer spricht. Warten steht in unserer dauer-aktivistischen Gesellschaft unter dem Verdacht, eine fatalistische Ergebung ins Schicksal zu sein. Doch es gibt noch ein Drittes zwischen Dauerbeschleunigung einerseits und Rückzug ins Private andererseits.
Bonhoeffer spricht nicht nur vom Gebet und vom Tun – er spricht drittens auch vom Warten. Und das ist eine sehr konstruktive Handlung – zwischen reiner Passivität, ganz auf Gott Angewiesensein
einerseits und entschlossenem Tun des Guten andererseits. Dieses Warten-können in der Mitte zwischen Aktivität und Passivität ist in sich wertvoll. Einen Schritt zurücktreten, noch mal in Ruhe
nachdenken – und dann erst entscheiden! Wir verstärken die Stapel-Krisen, wenn wir dieses Dritte in der Mitte ständig überspringen.
Beten, warten können und das Gute tun … nur dieser Dreiklang macht die Sache rund.


Der Friede Gottes bewahre uns in dieser Verbundenheit und in dieser Freiheit mit Jesus Christus, unserem Herrn.
Amen.
- EG 329, 1-3 Bis hierher hat mich Gott gebracht
- Gebet und Vater unser (Kullmann)
- EG 615, 1-3 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe
mich holt
- Segen


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