04.08.2024
Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis, Israelsonntag, 4.8.2024 in der Kirche Greiz-Pohlitz, OKR Dr. André Demut

mit Predigtnachgespräch - Predigttext Sacharja 8, 20-23
 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

die Juden in aller Welt gedenken in jedem Jahr am 9. Tag des jüdischen Monats Aw der Zerstörung des Tempels in Jerusalem.

Nach unserem Kalender ist das im August, in diesem Jahr fällt der 9. Aw auf unseren 13. August.

Der erste Tempel, unter König Salomo erbaut, wurde an einem 9. Aw zerstört – im jüdischen Jahr 3338, durch die Babylonier, nach unserer Zeitrechung war das im Jahr 586 vor Christus.

Dieser zerstörte Tempel wurde 70 Jahre später wieder aufgebaut.

Die persischen Könige, die damaligen Weltherrscher im heutigen Iran, gestatteten damals den Juden die Rückkehr in ihre Heimat und den Wiederaufbau ihres zentralen Heiligtums, im Jahr 515 v Chr wurde dieser zweite Tempel feierlich eingeweiht.

In diese Zeit am Ende des 6. Jahrhunderts vor Christus fällt das Wirken des Propheten Sacharja, aus dessen Buch uns ein kurzer Abschnitt für die heutige Predigt gegeben ist.  

Wir haben diesen Text vorhin schon als Lesung nach der Luther-Übersetzung gehört, ich möchte ihn noch einmal nach der Guten-Nachricht-Übersetzung vortragen:

So spricht der Herr, der Herrscher der Welt: »Viele Völker und die Bewohner großer Städte werden sich aufmachen, 21sie werden sich gegenseitig aufsuchen und sagen: ›Kommt, wir wollen zum Herrn gehen, dem Herrscher der Welt, um seinen Segen zu erbitten und bei ihm Hilfe zu suchen! Ich jedenfalls werde hingehen.‹ 22Und so werden große und starke Völker nach Jerusalem kommen, um beim Herrn, dem Herrscher der Welt, Hilfe zu suchen und seinen Segen zu erbitten.«

23So spricht der Herr, der Herrscher der Welt: »Zu jener Zeit wird man es erleben, dass zehn Männer aus Völkern mit ganz verschiedenen Sprachen sich an einen Juden hängen, seinen Gewandzipfel ergreifen und sagen: ›Lasst uns mit euch nach Jerusalem ziehen! Wir haben gehört, dass Gott auf eurer Seite steht.‹«

Wir spüren den optimistischen Schwung, der damals im Volk Israel herrschte.

Die dunklen Zeiten sind vorbei.

Die Unterdrückung durch die grausamen Babylonier ist zu Ende.

Wir sind wieder wer.

Wir dürfen unseren Glauben wieder frei leben, den Tempel neu aufbauen, die vorgeschriebenen Opfer verrichten am uralten heiligen Ort und dort wunderbare Gottesdienste feiern.

Und noch mehr:

Der Prophet Sachaja sieht, dass die Faszination Israels weit über das eigene Volk hinweg weltweit ausstrahlen wird.

Die Faszination Israels, die schon immer verbunden war mit seinem faszinierenden Glauben:

Es gibt nur einen Gott – nicht tausend Zwänge und Notwendigkeiten. Natürlich gibt es in dieser Welt weitere Herren, Zwänge und Notwendigkeiten.

Doch diese sind nicht Gott – sie tun nur manchmal so!

Und: Es gibt nur Zehn Gebote, die passen auf zwei Steintafeln. Auf die kommt es an, wer sich an sie hält, wird ein gelingendes Leben finden.

Das Leben ist nicht kompliziert: Glaube an Gott und halte die Gebote – und du wirst leben.

Im Evangelium, das wir heute gehört haben, wird diese faszinierende Einfachheit sogar noch gesteigert:


Im Grunde gibt es nur zwei Sachen, die wirklich wichtig sind:

Auf Gott vertrauen und den Mitmenschen lieben.

Alles weitere, bis hin zum Bürgerlichen Gesetzbuch oder dem Strafgesetzbuch sind nur Erweiterungen und Auslegungen dieses Grundprinzips.  

In dieser schnörkellosen Klarheit des Bundes Gottes mit dem auserwählten Volk Israel lag von jeher eine große Faszination nicht nur für die Juden selbst, sondern auch für viele Menschen aus anderen Völkern, die das ursprünglich nicht kannten.

Schon im alten Testament wird von vielen Nicht-Israeliten, sogenannten „Heiden“ erzählt, die sich zu Israel, seinen Geboten und dem Glauben an den einen Gott hingezogen fühlten.

- Ein syrischer Feldhauptmann wird vom Propheten Elisa von einer schlimmen Krankheit geheilt und huldigt fortan dem Gott Israels. (2 Kön 5)

- Die Moabiterin Ruth folgt ihrer Schwiegermutter Noomi nach Israel und wird in zweiter Ehe sogar die Urgroßmutter des berühmten Königs David.

- Die heidnischen Schiffsleute ehren den Gott Israels, nachdem der Prophet Jona im Sturm über Bord gegangen war, der Sturm nachließ und das Schiff gerettet wurde.

Die Jona-Geschichte ist ja sehr bekannt und Sie wissen vermutlich, wie es weiterging:

Auch Jona wurde gerettet und konnte in der assyrischen Hauptstadt Ninive Gottes Wort verkündigen und alle Heiden zur Umkehr rufen.

Und die Heiden reagieren, wie es nicht einmal der Prophet selbst erwartet hatte:

Die Heiden glauben dem Wort des Gottes Israel,

sie ändern ihr Leben

und sie orientieren sich ab jetzt an den Zehn Geboten.

Ich könnte die Beispiele beliebig vermehren:

Es gibt im Alten Testament keine strenge Grenze zwischen dem auserwählten Volk und den übrigen Völkern.

Als der Jude Jesus von Nazareth und seine Apostel – auch alles Juden – das Wort Gottes allen Völkern und Menschen predigen, tun sie nichts Neues.

Was im Neues Testament geschieht, ist tief im uralten Bund Gottes mit seinem Volk Israel angelegt,

seit den Tagen Abrahams, Moses und Jesajas.

Wir wissen, wie die Geschichte seit Sacharja weiterging.

Der so glanzvoll aufgebaute Tempel wurde im jüdischen Jahr 3829 von den Römern zerstört, 70 nach Christus unserer Zeitrechnung – nach jüdischer Überlieferung auch wieder an einem 9. Aw.

Das jüdische Volk wurde von den Siegern ins gesamte römische Reich verschleppt und Israel wurde in „Palästina“ umbenannt.

Für alle Zeiten sollte dieses kleine Stück Land zwischen Mittelmeerküste und Jordanfluss mit den Juden nichts mehr zu tun haben, die Erinnerung an sie sollte dort für immer ausgetilgt werden.

Auch weitere traumatische Ereignisse für das Volk Israel fanden im Monat Aw statt. Nach unserem Kalender ist das die zweite Juli-Hälfte und die erste Hälfte im August:

- 1099 rief Papst Urban II. in dieser Zeit zum Ersten Kreuzzug auf, ca. 10.000 Juden wurden im ersten Monat des Kreuzzugs von einem fanatisierten christlichen Mob getötet, viele jüdische Gemeinden im Rheinland und in Frankreich wurden vollständig ausgelöscht

- im Monat Aw 1492 begann die systematische Enteignung und Vertreibung der Juden auf der iberischen Halbinsel durch die katholische Obrigkeit, etliche wurden bei Pogromen getötet, viele siedelten nach Nordafrika ins muslimische Herrschaftsgebiet über

- im Monat Aw des Jahres 1942 begannen im Warschauer Ghetto die Deportationen der Juden ins Vernichtungslager Treblinka

Auch diese Aufzählung ist leider nicht vollständig …

Doch die Treue Gottes zu seinem auserwählten Volk Israel ist stärker als jeder heidnische Vernichtungswille.

 

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschloss am 29. November 1947 die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Der Beschluss wurde von den meisten Juden in Palästina akzeptiert, von den meisten Arabern abgelehnt.

Am 14. Mai 1948 zogen sich die letzten britischen Streitkräfte aus Palästina zurück und David Ben-Gurion verlas die israelische Unabhängigkeitserklärung. Noch in der Gründungsnacht wurde dem wenige Stunden alten Staat Israel der Krieg erklärt: von Ägypten, von Saudi-Arabien, von Jordanien, vom Libanon, vom Irak und von Syrien.

 

Bis heute geht große Faszination von den Juden aus.

Millionen Gläubige verschiedener Religionen pilgern in dieses kleine Land zwischen Jordan und Mittelmeer.

Für Christen, Muslime und Juden hängt Jerusalem untrennbar und unmittelbar mit ihrem Glauben an Gott zusammen.

Und bis heute richtet sich ein dämonischer Vernichtungswille auf dieses kleine Land und Volk.

Am 7. Oktober letzten Jahres hatte ich gerade meinen Koffer vom Schrank geholt, den ich packen wollte für eine Reise nach Israel, als die ersten Meldungen vom barbarischen Massaker der Hamas in den Nachrichten kamen.

Auch unter Christen hört man manchmal den Satz:

„Man muss zwischen dem Volk und dem Staat Israel unterscheiden.“

Natürlich sind Völker und ihre Staaten nicht einfach identisch.

Doch was will man mit dieser häufig gemachten Unterscheidung genau aussagen?

 

Dass man zwar solidarisch zum Volk Israel ist – doch dem Staat Israel das Recht absprechen möchte, sich zu verteidigen und seine eigenen Bürger zu schützen?

Welcher Staat irgendwo auf der Welt muss sich außer Israel noch gegen Angreifer verteidigen, die sich mit ihren Kommandozentralen und Raketenabschussrampen hinter Frauen, Kindern und in Krankenhäusern verstecken??

Für mich liegt auf der Hand, dass diese häufig gemachte Unterscheidung zwischen den Juden, dem Volk Israel einerseits und ihrem Staat Israel andererseits verlogen, abstrakt und heuchlerisch ist.

 

Man kann jeden Staat kritisch sehen – zumal, wenn man das Glück hat, in einer Demokratie zu leben und nicht in einer Diktatur.

Jeder Staat macht Fehler. Das ist eine Binsenweisheit.  Und dort, wo Meinungsfreiheit herrscht, darf man Kritik am Staat auch äußern.

In unserem Staat zum Beispiel.

Und natürlich darf man auch den Staat Israel kritisieren.

Das haben die Propheten Sacharja, Jeremia und Elia auch schon so gemacht.  

Diese alttestamentlichen Propheten haben im Namen Gottes ihre eigene Regierung heftig kritisiert, wenn diese es verdient hatte.

Und das zu einer Zeit, als an einem normalen Königshof im Alten Orient der speichelleckende Lobgesang auf den König der normale Umgangston war.

Natürlich darf man Israel kritisieren.

Das auserwählte Volk zu sein bedeutet nicht, über dem Gesetz zu stehen.

Im Gegenteil: Das auserwählte Volk zu sein bedeutet, sich besonders sorgfältig an das Gesetz zu halten.  

Und für wen das mit dem „auserwählt-sein“ zu abgehoben klingt:

Es genügte im weltlich-politischen Zusammenhang zu sagen, dass alle Menschen und alle Staaten gleich sind, mit den gleichen Maßstäben gelobt oder kritisiert werden sollen – und dass nicht an die einen viel strengere Maßstäbe angelegt werden dürfen als an die anderen.

Bei einer Umfrage in Thüringen im letzten Jahr – noch vor dem 7. Oktober wurde diese Befragung durchgeführt! – sagten 14% der Befragten (!), dass sie der Aussage vollständig oder überwiegend zustimmen:

 

„Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“

Hallo, geht’s noch?

Wenn man etwas an der Politik Russlands zu kritisieren hat, darf man also seine Ablehnung gleich auf alle Russen ausdehnen? 

Berechtigt die Kritik an einer bestimmten amerikanischen Regierung dazu, gleich alle Amerikaner abzulehnen?

Jeder normale Mensch empfindet, dass das Unsinn ist.

Nur bei Israel leuchtet dieser Nonsens jedem sechsten repräsentativ befragten Thüringer ein.

Immerhin hat die Hälfte der Befragten geantwortet, wie es der gesunde Menschenverstand gebietet, dass man natürlich nicht aus einer Kritik an Israel eine Ablehnung aller Juden rechtfertigen darf.

Das Thema ist endlos, deshalb mache ich hier erst einmal einen Punkt.

Für den heutigen Gottesdienst ist ein Predigt-Nachgespräch angekündigt – ich bin sicher, dass wir zur Faszination Israels, der darin sich zeigenden Treue Gottes, aber auch zur besonderen Gefährdung Israels genügend Gesprächsstoff haben werden.

Der Friede des Gottes Israels und des Vaters Jesu Christi bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, in unserem Herrn und in seinem Heiligen Geist. Amen.

 


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