15.10.2018
Predigt von Oberkirchenrat Christhard Wagner am 25.01.2018
Jahreslosung im Landtag
Liebe Gemeinde!
Die Jahreslosung erzeugt sofort viele Assoziationen.
Ich denke an meine Kindheit und Jugend in Leipzig. Sauberes Wasser war mir in der Natur unbekannt. Wie verblüfft war ich, als meine Eltern mir am Veilchenbrunnen bei Oberhof erlaubten, von der Quelle zu trinken.
Ich denke an meine Israelbesuche – an das Jordan-Rinnsal als Beispiel für menschengemachte Dürren, die Kriege und Fluchtbewegungen auslösen.
Ich denke an das einzige Mal, dass ich in meinem Leben solchen Durst hatte, dass ich in Panik geriet.
Wir wanderten als Studenten in den rumänischen Karpaten. Als Karte diente uns eine postkartengroße Fotografie, die ich in der DB von einer Karte des Retezat Gebirges gemacht hatte. Die Ungenauigkeit führte zu einer fatalen Fehleinschätzung. Anstatt 4 Stunden Wanderung wurden es 12 bis zur nächsten Wasserstelle. Die letzten vier Stunden ohne Wasser – eine Tortur. Der erste Schluck aus dem Gebirgsbach – der Himmel.
Jesus Christus spricht:
„Ich will den Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers – umsonst.“
Warum geht dieses Angebot komplett unter? Offensichtlich hat niemand Durst. Oder aber er sucht andere Quellen.
Jetzt käme der Teil: Jammern über die ignorante Welt, die sich schon längst mit Ersatzquellen zufriedengibt. Den überspringe ich. Trotzdem bleibe ich dabei: Menschen dürsten nach Leben. Sie wollen gebraucht werden. Sie suchen nach einem Schluck Anerkennung, Würde, Liebe. Sie ahnen, wie wenig die selbstgebohrten Brunnen nur für kurze Zeit den Durst stillen.
Wir wünschen uns so sehr, wir beten darum und wir bemühen uns, auf die Quelle hinzuweisen, die unseren Durst stillt. Doch wir werden überhört.
Wir erleben unsere Kirche in diesem Land selbst eine Durststrecke. Darüber kann man jammern, man kann den Hauptverantwortlichen Vorwürfe machen, man kann historische Begründungen anführen und man kann resignieren.
Oder aber sagen: Durststrecken gehören zum Leben eines jeden von uns – Durststrecken gehören auch zum Weg des Volkes Gottes. Unser Gott ist ein Gott, der uns durch die Wüste führt – und gleichzeitig verspricht er mit der Jahreslosung „Ich will den Durstigen geben von der Quelle des Lebens umsonst.“
Wie kann das für uns aussehen?
Zum einen: Wir brauchen nicht in Panik zu geraten wie ich im Retezat. Durststrecken gehören zum Leben. Die Durststrecken sind uns sehr präsent. Dagegen registrieren wir viel zu selten, wie oft wir auf wunderbare Weise aus der Wüste herausgeführt wurden – umsonst – ohne eigenes Zutun.
Zum zweiten suchen wir viel zu ambitionslos nach der Quelle unseres Lebens: Sie kennen die Geschichte eines Mannes, der sich in der Wüste verirrt hat. Halb irr vor Durst schleppt er sich vorwärts. Da sieht er plötzlich eine Oase. Wasser plätschert. Ein Feigenbaum ist zum Greifen nah. Doch er denkt: eine Fata Morgana. Und bleibt liegen. Wenig später finden Einwohner der Oase den Toten. Sagt der Eine: das verstehe ich nicht. Das Wasser direkt vor ihm – und er bleibt liegen. Der andere sagt: er war eben ein moderner Mensch.
Wenn wir von der Quelle unseres Lebens wissen, dürfen wir davon schweigen? Der geistige Grundwasserspiegel ist gesunken, so drückt es Bischof Wanke aus. Aber das Grundwasser ist da. Leider finden nur wenige Menschen den Zugang. Die Brunnen sind verschüttet oder versteckt. Es liegt an uns, sie freizulegen, sichtbar zu machen, auf sie hinzuweisen.
Ein letztes:
Wenn Jesus verspricht, den Durstigen von der Quelle des Lebens zu geben, so hat er auch uns, seine Schwestern und Brüder im Blick.
Zuerst sollten wir selbst genug trinken. Wir kennen die Quelle, doch gehen selbst zu selten zu ihr. Wem gegeben ist, der kann geben. Wenn unser Durst gelöscht ist, können andere viel überzeugender auf die Quellen, die Oasen, die Brunnen aufmerksam machen.
Und können selbst zu Oasen für Menschen werden, die dürsten und nicht wissen, wer ihren Durst stillen kann. Wir können selbst das Wasser weiterreichen, das uns gegeben wird.
Dazu helfe uns Gott. Amen