01.06.2020
Predigt von Regionalbischöfin Dr. Friederike F. Spengler, Pfingstmontag 2020 zu Acta 2, 1-18 in Gottesdiensten mit und ohne Taufe in Oberlödla
Dr. Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Propstei Gera-Weimar
Es ist Festtag in Jerusalem.
Menschen aus aller Herren Länder sind in der Stadt.
Sie kommen aus Rom, Korinth, aus Asien, dem heutigen Irak und Syrien, von der der Insel Kreta. Zahlreiche Sprachen sind zu hören.
Jesu Jünger sind auch da.
Aber sie haben sich zurückgezogen.
Mutlosigkeit erfüllt den Raum.
Ängstlich blicken sie in die Zukunft und fragen sich:
Wie wird es weitergehen? Was wird aus uns - ohne Jesus?
Doch dann das Wunderbare:
Gottes Geist erfüllt alle.
Und alles ändert sich.
Eben noch saßen sie in ihrer Quarantäne - nun sind sie Feuer und Flamme.
Eben noch waren sie mutlos – jetzt sprühen sie vor Begeisterung.
Eben noch waren sie resigniert – nun zieht ein neuer Geist ein.
Sie haben keine Angst.
Sie reden frei.
Sie machen sich verständlich.
Gottes Geist, der Heilige Geist, ergreift, bewegt, wie ein starker Hauch.
Die Jünger gehen aus sich heraus.
Und erleben: die Menschen verstehen sie.
Hören sie in ihrer Sprache.
Fühlen sich angesprochen.
Gehen aufeinander zu.
Bilden eine Gemeinschaft.
Sind be-Geistert.
Zu Pfingsten tritt zum ersten Mal eine christliche Gemeinde an die Öffentlichkeit: viel-stimmig, viel-sprachig. Das war Kirche schon immer. Das ist ihr wortwörtlich in die Wiege gelegt. Und doch von einem Geist erfüllt.
Er ist Quelle für Aufbruch, Kraft und Erneuerung.
Liebe Schwestern und Brüder in Oberlödla, liebe Gemeinde,
Wo ist unter uns der Geist des Anfangs geblieben?
Wo ist sein „Zauber, der uns beschützt und der uns hilft zu leben?“ Ja, im Gottesdienst mit einer Taufe, kann man ihn spüren. So wie heute. Den Geist der Hoffnung, der für Leopold Schilling erbeten wird. Ein Anfang ist damit gesetzt: Ein Neubeginn, wie eine Geburt. „Wenn ihr nicht werdet, wie die Kinder.“, sagt Jesus zu uns Erwachsenen. Auch das gehört dazu, ganz und gar neu gemacht, neu geboren zu werden. Kennen Sie Ihren Tauftag? Der kann ein schöner Anlass sein, sich mit seinem Anfang immer neu verbinden zu lassen…
Wenn wir heute auf die Kirche schauen, erlebe ich mitunter Situationen, wo ich mir diese Kraft des Anfangs wünsche…, so sehr…die Be-Geisterung für die Sache Jesu. Das Entflammt-Sein für das Evangelium. Ach, das wäre schön. Zu schön, um wahr zu sein?–
Wir hören auch heute von ihr, in der Pfingstgeschichte. Hören begeistert zu und dann schauen wir uns ernüchtert um…
Ernüchtert bin ich, wenn ich in den Nachrichten als wichtigste Forderung nach der Corona-Krise höre: Die Wirtschaft muss wieder in Schwung kommen. Geld muss her… Ihr Lieben, ist es das, was wir aus dieser Zeit mitnehmen: Dass die Wirtschaft das Wichtigste sei? Wollen wir nicht auf ganz andere Erfahrungen verweisen, die uns in dieser Zeit gestützt haben und die in uns die Sehnsucht wecken, dass das Leben vom Miteinander und Füreinander bestimmt ist? Ja, ich bin überrascht, dass die Individualisierung, die wir beklagen, der Rückzug ins Private, das „Meins, meins, meins!“ nicht diese Sehnsucht nach Gemeinschaft überwuchern konnte. Wir sind doch noch soziale Wesen. Gott sei Dank, haben wir Hunger nach Begegnung und Berührung, nach Festen und Lachen, nach Trauer und Weinen – alles gemeinsam. Weil es guttut, so miteinander auf dem Weg zu sein.
Es waren und sind Wochen, die uns in ungeahnter Weise herausgefordert haben. Und, landauf, landab habe ich herrliche Beispiele erlebt, erzählt bekommen, von welchen gelesen oder digital gesehen. Ich habe den Eindruck, dass diese Wochen nicht Geist-los waren, im Gegenteil. Wenn wir ernstnehmen, dass uns erst von Gottes Geist gegeben wird, das Wort Gottes zu verkündigen und zu glauben, Menschen zu erreichen und innerlich zu berühren, dann war auch in diesen Wochen der Geist Gottes ununterbrochen am Werk! In Telefonaten und Briefen, Andachten und Videogottesdiensten, schriftlichen Predigten, zeichenhaften Dingen, die das „Wir-Gefühl“ gestärkt haben, in Unterstützungsangeboten, Hilfsbeuteln an Gartenzäunen, Musik vom Kirchturm, offene Türen und Ruhe für Gebet und mit Kerzen. Auch im Glockengeläut kann uns der Geist entgegenwehen, wir müssen ihn nur aufnehmen wollen…
Wie aber geschieht das?
Die Rede vom Heiligen Geist ist unter den Personen Gottes – Vater, Sohn und Heiliger Geist,- die wohl schwierigste. Was also meint der christliche Glaube, wenn wir vom Geist Gottes sprechen, wenn wir im Glaubensbekenntnis laut aussprechen: „Ich glaube an den Heiligen Geist…“
EIN Bild für diesen Geist gefällt mir gut. Ich merke, damit kann ich etwas anfangen. Und deshalb biete ich sie auch Ihnen an:
Lateinisch heißt Geist „spiritus“. Das bedeutet nicht nur Ethanol, sondern Wind, Hauch, Atem.
Auf die Frage, was die Kirche heute am Nötigsten braucht, antwortete ein Theologe unserer Zeit: die Kirche muss wieder neu atmen lernen.
Zum Atmen gehören zwei Dinge: Einatmen und Ausatmen.
Einatmend geht die Kirche in sich, ausatmend geht sie aus sich heraus.
Die Kirche atmet ein im Gottesdienst und Gebet. Da ist die Gemeinde um Gottes Wort und beim gemeinsamen Brotbrechen versammelt.
Da wird sie gesammelt und konzentriert sich selbst. Sie atmet auf.
Wer einatmet, kann auch ausatmen. Und nur wer ausatmet, kann auch wieder einatmen. Die Lunge macht uns vor, was hier geschieht: Einatmend fließt der Sauerstoff ins Blut und hält den ganzen Organismus am Leben. Und damit können wir denken, fühlen, geben, lieben, singen, lachen, weinen, herzen…
So auch die Kirche. Wenn sie den Geist Gottes nur einatmet hat, würde sie ersticken. Sie muss die geistgefüllten Lungen auch wieder entlasten. Also geht sie hinaus. Der Geist treibt sie dazu an, die Botschaft Gottes will in die Welt! „Los Gemeinde, ich puste dir Wind unter die Flügel, gebe dir Rückenwind. Geh los und tu etwas. Lebe deinen diakonischen Auftrag. Sei Mensch unter Menschen. Stärke sie. Sei um Gottes willen barmherzig. Ich bin es doch auch zu Dir,“ spricht Gott.
Um Einatmen zu können, bedarf es Möglichkeiten, den Geist wirken zu lassen. Es braucht Stille, eine Haltung des Hörens, der geistlichen Gelassenheit und der Demut.
Dann wird unsere Welt das Wort hören, dass sie braucht. Das Wort, dass sich die Welt nicht selbst reden kann und das auch nicht dasselbe ist, wie die Worte der Welt.
Kirche geht in die Irre, wenn sie die Worte der Welt zu ihren macht.
Was wäre das für eine Kirche, die sagt, was andere sagen und denkt, was andere denken….
Die christliche Gemeinde braucht Räume, die den gewohnten Trott unterbrechen. Räume der Stille. Räume des Gebetes.
Vom Wort Geist: spiritus, abgeleitet, ist das Wort: Inspiration.
Das sagen wir, wenn wir plötzlich eine gute Idee haben.
Oder ein Künstler einen wunderbaren Einfall für ein Bild oder eine Musik.
Auch das ist eine Pfingstfrage: Lassen wir uns inspirieren? Und von wem? Der Geist Gottes will uns antreiben, das Wort Gottes zu leben. Ganz konkret in die Tat umzusetzen, was Jesus gepredigt hat: Kranke besuchen, Hungrige sättigen, Flüchtlinge aufnehmen, Arme unterstützen, Gefangene nicht abschreiben, Tote bestatten. Mit den Traurigen weinen und mit den Fröhlichen fröhlich sein. Über den Tellerrand hinaussehen! Wir haben so viel, teilt aus. Es reicht für alle!
Der Heilige Geist ist uns versprochen. Damals, vor 2000 Jahren, wie in der Pfingstgeschichte erzählt. „Und heute. Er kommt, um bei uns - wie es in der Bibel heißt – zu wohnen. Er kommt als Freund. Er kommt, um zu helfen. Er kommt, um mit uns zusammen ganz da zu sein, völlig wirklich wahr. Er stellt sich der Wirklichkeit. Er nimmt es mit den Gegensätzen in dieser Welt und mit den Gegen-sätzen in einem jeden von uns auf.“ Der Heiligen Geist hält uns und unsere Welt zusammen.
„Zum Geist Gottes ‚Ja‘ zu sagen – das ist Pfingsten. Und nun kann man gar nicht besser ‚Ja‘ zu ihm sagen, als dass man ihn bittet, zu uns zu kommen. Und so beten wir hier und heute: ‚Ja, komm Herr, Heiliger Geist!‘“1
Und der Fried Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre und erhalte euch im Glauben durch unseren Herrn Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes
1Aus: Eberhard Jüngel, Predigt zu Römer 8,26, in: ders.: Unterwegs im Kirchenjahr, Stuttgart 2005, 247-256