01.11.2024
Angewiesen auf andere
Als der Zug statt auf Gleis 6, wo er angekündigt war, plötzlich auf Gleis 4 einfuhr und alle hastend Treppen runter, Treppen rauf mit ihren Koffern liefen – sah ich eine Mutter mit Kinderwagen und einem Rucksack wie erstarrt und versteinert stehen und warten. Ich war schon auf der halben Treppe, kehrte um und fragte, ob ich helfen kann. Sie nickte, und so packte ich den Kinderwagen an – bat einen Jugendlichen, mir zu helfen, und so konnte die Frau mit dem Kinderwagen trotz Chaos ihren Zug noch erreichen. Ich war dankbar, dass ich ihr helfen konnte. Im Alltag können wir ja meist alle unsere Angelegenheiten allein lösen – aber es gibt Momente, wo wir auf andere angewiesen sind – ohne Mitmenschen nicht weiterkommen. Der Spruch „Einer trage der anderen Last, so werdet ihr das Gebot Christi erfüllen“ ist für mich so ein Merksatz, der mir weiterhilft. Das meint zunächst wörtlich: zu Fuß unterwegs und einer hilft dem anderen, seine Last zu tragen, damit beide vor dem Abend ans Ziel kommen. Das kommt außer beim Pilgern oder Bergwanderungen heute selten vor. Das geschieht aber auch dann, wenn ich merke, die Aufgaben werden mir zu schwer. Wenn ich bereit bin, mein Päckle abzugeben und der andere meine Last sieht und mir hilft. Und so ein Lastenteiler ist auch Jesus Christus für mich – einer, dem ich mein seelisches Päckchen ungeordnet überreiche und sage: Hilf mir Gott, denn es ist zu schwer für mich zum Tragen.
Johann Schneider, evangelischer Regionalbischof aus Halle