07.01.2021
Der Kaktus, die Wüste, das Leben
Auf dem Fensterbrett in meiner Küche steht ein Kaktus gelangweilt in einem Keramiktopf. Ein praktischer Zeitgenosse! Denn mein grüner Daumen ist so grün wie rote Beete. Ich vergesse wochenlang ihn zu gießen. Aber er nimmt mir das nicht krumm. Hauptsache, er steht im Warmen mit seinen spitzen Dornen und feinen Härchen. Die schützen seine Artgenossen draußen vor den Annäherungsversuchen manch hungriger Tiere.
So ein Kaktus kommt monatelang ohne Wasser aus. Eine ideale Wüstenpflanze. Er speichert die Flüssigkeit und kann lange Trockenzeiten gut durchhalten.
Auch ich habe meine Trockenzeiten. Vor allem jetzt. Ich sitze zwar warm und geschützt, aber sie fehlen mir: meine Freunde, das Unterwegssein, der Theaterbesuch, das Miteinander - während der Feiertage und auch jetzt, wo ich noch ein paar Tage Urlaub habe. Was hätten wir alles unternehmen können...?
Stattdessen Fallzahlen, 7-Tage-Inzidenz, Vulnerabilität – lauter Sachen, die mich früher nicht interessierten, jetzt aber nervös machen.
Manchmal möchte ich wie ein Kaktus sein. Nicht alles an mich heranlassen. Nicht angefressen werden von üblen digitalen Kommentaren. Dafür Energie in mir spüren, Geduld für die Durststrecken und auch Verständnis: Es braucht seine Zeit.
„Die Wüste wird blühen und jubeln.“ verheißt Jesaja, der biblische Prophet.
Einmal wollte ich meinen langweiligen Kaktus schon wegwerfen, weil er noch nie geblüht hat. Jesaja mich davon abgehalten. Und so steht der Kaktus auf dem Fensterbrett und ich male mir aus, wie alles blühen wird:
der Kaktus, die Wüste, das Leben.
Peter Herrfurth, Landesjugendpfarrer in Magdeburg