27.03.2025
Der siegende Küster
Im Magdeburger Dom gab es über viele Jahre einen ganz besonderen Hausmeister. Abend für Abend machte der wie alle Hausmeister seine letzte Runde durch die riesige Kirche auf der Suche nach vergessenen Regenschirmen und verschollenen Touristen.
Dabei hat er nicht etwa geschrien. Nein, das hat er nie getan. Er hat seinen allabendlichen Rausschmeißer – gesungen. Aus physikalischen Gründen: Nachhall und Resonanz der Kirche verstärken Gesang, Schreie werden hingegen chaotisch reflektiert und verebben. Dem Hausmeister war völlig klar: In den letzten Winkel des alten Gemäuers dringe ich am leichtesten durch, wenn ich mit dem Raum arbeite, wenn ich singe. Das tat er – singen – und das konnte er auch.
Mich hat es immer fasziniert, das mitzuerleben. Ich verstand: Kirchen sind nicht dafür da, dass man in ihnen große Worte schwingt. Gotteshäuser sind gebaut, um von gesungenem Gebet erfüllt zu werden.
Noch ein Zweites habe ich damals in dem Dom gelernt: Singen dringt durch, vielmehr als alles andere. Worüber ich noch nicht sprechen kann oder mich schon erfolglos heiser geschrien habe – vielleicht sollte ich davon öfter mal singen.
Das ist das Erfolgsgeheimnis der Lieder, die über Generationen bleiben. Und vielleicht erklärt das auch, dass Chöre gerade großen Zulauf. Singen hilft, Singen verbindet. Denn wo wir singen, erklingt mit unserer Stimme auch unsere Seele.
Conrad Krannich, Halle