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28.03.2025
Löwensenf

„Schwachsinn“, sagte Großvater. „Nichts ist schärfer als Löwensenf.“ „Opa!“, riefen die besorgten Enkel im Chor. Aber da hatte er sich den ganzen Teelöffel der Chili-Paste Sambal Olek schon in den Mund gesteckt und siegessicher abgeschlotzt. Und dann? Totenstille! Und aller Augen auf Opa. Dass sein an heimische Senf-Schärfe gewöhnter Körper mit Sambal Olek durchaus zu kämpfen hatte, das verriet Großvaters schweißnasser Kopf. „Beachtlich“, keuchte er schließlich.  
Kulinarisch bin ich viel zu vorsichtig, als dass ich in so einen Chili-Schärfe-Unfall geraten könnte. Aber manchmal geht’s mir so mit anderen Dingen, zum Beispiel mit Entschuldigungen.  
Tausendmal gehört, tausendmal gesprochen: „‘tschuldigung“. Ich denke, ich weiß Bescheid. Aber dann kommt es von außen und trifft mich, ganz tief, und verändert alles. Da sagt jemand: „Ich vergebe dir.“ „Ja klar“, denke ich das erste Mal. „Eigentlich war ich es, der hier was verbockt hat.“ Nach kurzem Schmerz löst sich eine Träne, und dann fällt etwas von mir ab und ich fühle mich ein bisschen freier. 
Noch nie erlebt? Dann kosten Sie mal von dem Satz: „Ich vergebe dir.“ Die Worte sind zuerst scharf und dann befreiend, von den vielen positiven Nebenwirkungen ganz zu schweigen: entzündungshemmend und schmerzlindernd, stimmungssteigernd und mitunter sogar aphrodisierend und darin durchaus vergleichbar mit Chilipaste – Vergebung ist wie Sambal Olek. 

Conrad Krannich, Halle


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