23.03.2025
Heinz und der abbe Fuß
Es gibt Menschen, die hinterlassen Spuren im eigenen Leben. Bei manchen ist es die ferne Tante Hanni oder der eine Lehrer, der damals aufmerksamer war als alle anderen. Bei mir war das mein Opa Heinz.
Heinz hatte nur ein Bein. Für uns Enkel war es immer ein Ereignis, wenn er morgens seine Prothese anschnallte. Mein Cousin fragte mal: „Opa Heinz, hast du eigentlich nur’n ab’es Bein oder auch’n ab’en Fuß?“
Mit den Jahren wichen die unbefangenen Kinderfragen einem kritischen Staunen. Denn das fehlende Bein des 1913 geborenen Heinz erzählt viel mehr als jedes vorhandene: von Krieg und Überleben erzählt so ein ab’es Bein, von Schuld und dem Glück, noch einmal neu beginnen zu können.
Heinz konnte über das eine reden, ohne das andere zu verschweigen. Trotz des Dunklen in der eigenen Geschichte und in dieser Welt war er einfach nicht von der Bosheit der Menschen zu überzeugen. Sein Strahlen war vermutlich so ansteckend, weil es eben auch die Finsternis sehr gut kannte.
Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen, heißt es. Opa Heinz hätte darüber wohl gelacht und gesagt: „Mit einem Bein ist das eine wacklige Angelegenheit!“ Dann hätte er seine Prothese angezogen, seinen Stock geschnappt und uns gezeigt, wie man sicher durchs Leben geht. Wahrhaftig.
Conrad Krannich, Halle