23.06.2021
Mut und Bescheidenheit
In meinem Morgengebet, dem Vaterunser, gibt es eine Bitte, gegen die sich häufig mein innerer Widerstand regt. „Dein Wille geschehe“, betet Jesus uns vor und meint damit den Willen Gottes, der anders und stärker sein darf als mein eigener Wille. Ich finde das eine Zumutung, weil für mich als aufgeklärten Menschen die Freiheit meines eigenen Willens so wichtig ist, dass ich niemanden hineinreden lassen will. Nicht einmal Gott. Dabei weiß ich, dass manches das Schicksal wohl so will. Aber wer schickt was und wem und warum? Als im letzten Jahr mein Mann so schwer krank wurde, habe ich mich monatelang dagegen aufgebäumt. Ich wollte einfach nicht, dass er stirbt. Ich habe um sein Leben gekämpft und immer davon gesprochen, dass er nach Hause zurückkommen wird. Dann schrieb mir ein Freund, vielleicht wäre es besser, wenn du betest: Dein Wille geschehe. Über diesen Satz habe ich mich geärgert. Ich fand ihn zu fromm, zu untertänig. Was sagst du mir das, fragte ich? Ich will es nicht hören. Mein Mann ist gestorben. Und mein Wille hat sich nicht durchgesetzt. Oft denke ich noch an den Freund, der mich an die wichtige Wahrheit erinnerte, dass meinem Willen Grenzen gesetzt sind. Und dass es klug ist, sich darauf einzustellen. Mit Mut und Bescheidenheit.
Gabriele Herbst aus Magdeburg