03.02.2025
Komm mir nicht mit den zehn Geboten
„Ja, ja, natürlich! Bei der Wahrheit bleiben, ist doch klar. Was auch anderes! Aber ist Wahrheit immer eindeutig?“ Wir stehen auf dem Markt seiner Stadt und reden, weil er um Stimme wirbt, und wir uns schon lange kennen.
Es geht um jeden Wähler. Seinen Einzug ins Parlament. „Da muss man markig werden,“ sagt er. „Da ist nicht Platz für leise Töne. Keine Grautöne im Schwarzweiß. Die Leute wollen die Wahrheit doch gar nicht hören. Die ist meistens komplex. Sehr komplex. Die Leute wollen einfache Lösungen. Da muss man übertreiben. Die Algorithmen geben dir sonst keine Chance, in der Timeline der Leute aufzutauchen. Tja – Wahrheit…“
Er schaut hilfesuchend in den Himmel.
Ich sag ihm, dass die Parolen seiner Partei gegen Gesetze verstoßen. Das weiß er eigentlich auch. Er weiß, dass die einfachen Sprüche nicht vor Gericht standhalten.
Ist das eine Lüge, jetzt etwas zu fordern?
„Wir haben doch kaum Zeit uns zu erklären. Und komm mir jetzt nicht mit den zehn Geboten.“ Er lacht etwas hilflos: „‚Du sollst nicht lügen‘ ist eine hehre Forderung. Aber den will ich sehen, der das schafft – erst recht im Wahlkampf.“
Er schweigt. Er ist in der Klemme. Hier die Partei, die punkten will, da die Wählerinnen und Wähler. Und irgendwo dazwischen ein Gewissen.
Er tut mir leid.
Ich finde, Ehrlichkeit ist immer ein Argument. Die ist mir lieber, als die vermeintlich einfachen Lösungen. Und – doch – die zehn Gebote helfen, weil sie es auf den Punkt bringen. Das achte heißt: Du sollst nicht lügen.
Ulrike Greim, Erfurt, Evangelische Kirche