01.09.2018
Raum zum Heilwerden
Meine Tochter hat angefangen, sich für das Leben ihrer Großeltern zu interessieren. Weil meine beiden Eltern schon gestorben sind, habe ich ihr ein Buch gegeben – die Lebenserinnerungen meines Vaters. Er hat sie sich von der Seele geschrieben. Ich hab’ ihr gesagt: Die Kapitel mit dem Krieg überspringst du bitte. Die lesen wir gemeinsam – später. Das darf noch warten. Aber schwups – es ging so schnell, sagte sie, da war sie drin. Und hat entsetzt abgebrochen. So kurz vor dem Einschlafen ist das nicht die richtige Lektüre. Aber es war zu spät. Die ersten Erlebnisse hatte sie schon mitgekriegt. Und wir mussten reden. Bis spät. Mein Vater war damals kaum älter als sie jetzt. Und er hat so viel gesehen. Wie Menschen erschossen wurden. Wie sich jemand aus Verzweiflung das Leben nahm. Er hat den Himmel über Dresden feuerrot gesehen. Jedes Detail hat ihn erneut traumatisiert. Krieg ist immer Wahnsinn. Und er steckt in den Knochen und bei uns in den Genen. Es gibt dieses altertümliche Wort für Jesus, mit dem ich lange nichts anzufangen wusste: „Heiland“. Ich musste sehr erwachsen werden, um zu sehen, dass „heil werden“ darin steckt. Das ist möglich. Dafür steht er. Frieden heißt: Hier ist Raum zum Heilwerden. Der ist gut und weit. Mittlerweile gibt es so viele Berufe, die dabei gut helfen können. Heute ist der 1. September, Antikriegstag. Er erinnert daran, dass es gelingen kann, aufzuhören. Dass Ruhe möglich ist, Frieden wachsen kann. Und dass Wunden heilen dürfen. Das wollen wir unseren Kindern erzählen. Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche.
Ulrike Greim